Zur Arbeit in die Kluft der Beschwörer

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Danusch Fischer und sein Team trennen teils hunderte Kilometer. Aus dem Homeoffice in Berlin-Wedding trainiert der 23 Jahre alte League-of-Legends-Coach des Clans BIG seine fünf Spieler aus Deutschland, Finnland, Griechenland und Tschechien – nachmittags nach Schulschluss.

Wenn Head Coach Danusch Fischer die Trainingspläne für sein League-of-Legends-Team erstellt, muss er zwei Sachen beachten: Unterrichtsschluss und Zeit für Hausaufgaben. Die fünf Spieler seines Teams beim Clan Berlin International Gaming (BIG) sind 17, 19, 20 und 23 Jahre alt, die beiden 17-Jährigen gehen noch zur Schule. Aktuell startet das Training daher um 15.30 Uhr. Fischer hat dann zur Vorbereitung schon ein paar Matches in Korea und China geguckt und sich ein Bild davon gemacht, was dort brandaktuell passiert.

Denn das Echtzeitstrategiespiel League of Legends (LoL) ist in mehrfacher Hinsicht ein schnelles Geschäft. Zum einen durch den Patch-Zyklus: Alle zwei Wochen gibt es eine Änderung an dem 2009 veröffentlichten Spiel, bei dem zwei Teams a fünf Spieler gegeneinander antreten, um die Basis des jeweils anderen zu zerstören. Jeder Spieler steuert einen von mehr als 100 möglichen Champions mit besonderen Fähigkeiten. „Ändert sich ein Champion, ändert sich das ganze Spiel“, sagt Fischer. Trainer können so kaum langfristige Strategien entwickeln.

Schnell dreht sich auch das Trainerkarussell. Dreimonatsverträge sind keine Seltenheit. Der gebürtige Berliner Fischer blickt mit seinen 23 Jahren bereits auf sieben berufliche Stationen als Trainer und Co-Trainer zurück, darunter bei SK Gaming, Splyce, Iguana eSports, Euronics Gaming und Alternate Attax. Sein Vertrag bei BIG läuft derweil seit mehr als zehn Monaten und noch bis Jahresende, die Verlängerung gilt als Formsache. Schließlich gewann das Team in der vergangenen Saison die Overall Standings der Premier Tour Season und steht jetzt bei der Gamescom am 23. August in Köln als Titelverteidiger im Finale – wo es um die Qualifikation für die European Masters im Herbst geht.

Training aus dem Homeoffice

In Berichten über eSport wird oft das Bild der aus dem Kinderzimmer zockenden jungen Männer herangezogen. Tatsächlich trifft dies auch auf das LoL-Team des Clan BIG zu. Bis auf den Trainer wohnen alle Mitglieder noch bei ihren Eltern – in Deutschland, Finnland, Griechenland und Tschechien. Geht am Nachmittag das Training los, versammeln sich alle vor den heimischen Monitoren. Fischers Homeoffice in Berlin-Wedding sieht dabei recht gewöhnlich aus: Schreibtisch, PC, zwei Monitore – „fast wie am Arbeitsplatz meines Vaters bei der AOK“, sagt er. Einen kleinen Unterschied mache nur die Gaming-Maus.

Trainieren bedeutet dann spielen, spielen, spielen. Und zwar die bei allen Turnieren zum Zuge kommende größte Karte „Die Kluft der Beschwörer“ mit drei Lanes zur gegnerischen Basis und weitläufigen Dschungelgebieten auf beiden Seiten. Gespielt wird in der Regel gegen andere Teams, bis etwa 20.30 Uhr stehen fünf Partien an. Zwischen jedem Spiel gibt es maximal eine Viertelstunde Pause, in der das vorherige Match analysiert wird. Per geteiltem Bildschirm sehen die Spieler dazu die Trainerperspektive.

Kommuniziert wird auf Englisch über den Instant-Messaging-Dienst-Discord. Und das nicht zu knapp: „Wir reden alle ständig miteinander“, sagt Fischer. Schnelle, präzise Kommunikation ist bei LoL entscheidend – aber für das BIG-Team nichts, was eigens trainiert werden muss. „Das lief bei uns von Anfang an automatisch.“ Ähnlich ist es mit dem Teambuilding: Das kann für Coaches eine Mammutaufgabe sein, da im eSport anders als im klassischen Vereinsleben oft Einzelkämpfer heranwachsen. Drei von Fischers Jungs spielten jedoch schon in Spanien zusammen und brachten den Mannschaftsgeist bereits mit.

„Eine 40-Stunden-Woche habe ich nicht“

Der Trainer konzentriert sich daher auf das Taktische, konkret die Auswahl der Champions, die sogenannte Pick-and-Ban-Phase. Bei Turnieren ist dies das kurze Zeitfenster, in dem die Coaches mit auf die Bühne dürfen. Prioritäten bei der Champion-Wahl schaut sich Fischer auch in China oder Korea ab, hinterfragt, was er sieht, und versucht, „kreativer zu agieren“. Eine spezielle Trainerhandschrift habe er nicht, sagt er. Er setze aber konsequent auf „den bestmöglichen Stil“: „Ich will, dass meine Spieler keine Fehler machen, und immer so spielen, als mache der Gegner auch keine.“ Wichtig ist für ihn auch, nicht überall reinzureden: „Man muss seinen Spielern vertrauen. Meine sind alle deutlich besser als ich.“

Wenn sich Fischer und sein Team nach dem Training einen schönen Abend wünschen, ist der für alle noch lange nicht beendet. Während die Sportler noch bis zu fünf Stunden allein weiter trainieren, schaut sich der Coach frühere Spiele an und testet verschiedene Champions. Bis zu 15 Spiele absolviert er selbst pro Woche – ob das beruflich oder privat sei, kann er schwer sagen. Aber: „Eine 40-Stunden-Woche habe ich nicht.“ Seine Co-Trainerin, eine der wenigen Frauen der Szene, nimmt alle Trainingsspiele auf und erstellt Gegneranalysen. Die Auswertung all dieser Daten mache inzwischen rund 60 Prozent seiner Vorbereitungszeit aus, sagt Fischer.

Nur vor großen Turnieren treffen Coach und Spieler persönlich aufeinander, jüngst knapp einen Monat lang in einem angemieteten Teamhaus in Osnabrück. Dann hat Fischer die seltene Gelegenheit, auch Einfluss darauf zu nehmen, wie sich seine Jungs ernähren, und wie viel sie sich bewegen – was dem Trainer, der schon als Vierjähriger beim F.C. Hertha 03 Fußball spielte, wichtig ist. Während der Analysen in Spielpausen müssen alle stehen. „Ich versuche auch, ein Vorbild zu sein“, sagt Fischer, der täglich ins Fitnessstudio geht.

Vom Jurastudium in den Co-Trainer-Job

Der geringe Altersunterschied zwischen Coach und Team sei kein Problem. „Manchmal bin ich aber nicht streng genug und zu guter Freund meiner Spieler“, räumt er ein. Daher hat er auch mal „pädagogische Aufgaben“ – etwa, wenn ein Spieler Stress mit seiner Freundin habe. Nicht zu unterschätzen ist auch die Herausforderung, Eltern zu erklären, dass das, was ihr Sohn in seinem Zimmer treibe, „etwas Professionelles“ sei. Ein Spieler musste schon mal trotz eines wichtigen Turniers mit seiner Familie in den Urlaub fahren. Ein anderer muss im Oktober aufhören, um sich aufs letzte Schuljahr zu konzentrieren.

Profiplayer war Fischer, dessen Spielername „Arvindir“ ist, selbst nie: „Ich wusste immer, dass ich nicht gut genug dafür bin.“ Stattdessen interessierte er sich früh für die Trainerrolle – und konkret für LoL, was er seit 2012 selbst spielte, und an dem ihn faszinierte, „wie tief es taktisch geht“. 2014 war er mit einem Freund bei der IFA und sprach am Stand von SK Gaming einfach ein paar Leute an. „Ein halbes Jahr später wurde jemand gebraucht, und ich bekam einen Anruf.“ Sein erster Einsatz war ehrenamtlich, nebenbei studierte er Jura. Das gab er jedoch mit dem ersten Vollzeitjob als Co-Trainer bei Splyce auf. Seine Eltern waren davon anfangs nicht begeistert. „Aber mittlerweile gucken sie fast alle meine Spiele.“

Eine Szene wie bei der IFA würde sich heute vermutlich nicht mehr wiederholen. Stattdessen arbeitet der ESBD – eSport-Bund Deutschland an einer Professionalisierung der Szene und startete mit der ESBD-Akademie jüngst eine bundesweite Trainerausbildung. „Im Moment ist eSport noch viel Learning by Doing“, sagt Fischer. Profis, die auf die Trainerseite wechselten, gebe es kaum: „Viele Spieler sind noch zu jung zum Aufhören.“ Ähnlich ist es mit ehemaligen Trainern, die als Ausbilder dienen könnten. Fischer selbst engagiert sich als Berater der Akademie für die Weiterentwicklung der Ausbildung, schränkt aber ein: „Ich kann dabei nicht alles preisgeben, was ich mir in etwa sechs Jahren erarbeitet habe.“

Umschlag mit 650 Euro

Noch immer ist eSport hierzulande weniger anerkannt als in den USA, Asien oder Skandinavien, wo den Coaches zunehmend auch Ärzte, Physiotherapeuten und Bioexperten zur Seite stehen, um etwa die wichtige Hand-Auge-Koordination zu pflegen. „Der Nachwuchs besteht seit Jahren aus Jugendlichen, die allein von zuhause spielen“, sagt Fischer, der sich mehr Vereine wünscht. Mal ein Topteam in China oder Korea zu trainieren, strebt er trotzdem nicht an. „Lieber wirke ich an der Professionalisierung in Deutschland mit.“ Und lieber will er, dass möglichst viele aus seinem Team, das in Deutschland zu den besten zehn oder gar den besten fünf zähle, mal in die höchste europäische Liga (LEC) aufsteigen.

Wie viel Geld dort verdient werden kann, lässt sich pauschal schwer beziffern. Dem Wirtschaftsmagazin Forbes zufolge lagen die Spielergehälter in der amerikanischen LCS 2018 im Durchschnitt bei 320.000 US-Dollar pro Jahr. Von solchen Summern sind Trainer einer deutschen Liga indes weit entfernt. Das Gehalt eines LoL-Coaches, der in Deutschland auf dem Level des BIG-Teams spielt, beziffert BIG-CCO und Creative Director Philipp Neubauer inklusive Preisgeldern auf etwa den deutschen Durchschnittsbruttolohn für einen Vollzeitjob – der laut Statistischem Bundesamt 2018 im Schnitt bei 3.880 Euro im Monat lag. Damit dürfte sich für Fischer seit Beginn seiner Karriere bereits Einiges verändert haben: Als er anfing, „habe ich am Ende des Monats einen Umschlag mit 650 Euro bekommen“.

Veröffentlicht auf Golem.de am 19. August 2019