Bits statt Barbies

Foto: Reine Abbas

Foto: Reine Abbas

Auch wenn immer mehr Frauen spielen, bleibt die Gameindustrie ein Boys Club. Das ist weltweit so – und im Libanon nochmal eine Spur ausgeprägter. Eine Frau mischt dort indes die Branche auf: die Gamedesignerin und dreifache Mutter Reine Abbas.

von Nadine Emmerich

Reine Abbas ist schon als Kind im Fußballstadion im Libanon aufgefallen. Sie war das einzige Mädchen auf der Zuschauertribüne, ihr Vater nahm sie bereits als Dreijährige mit. Als sie älter war, fuhr er mit ihr zum Formel-1-Rennen. Im demokratischen und multikonfessionellen Libanon haben Frauen zwar mehr Rechte und Möglichkeiten als in anderen arabischen Staaten. Dennoch ist eine Karriere wie die der Spieleentwicklerin Abbas, die 2008 Wixel Studios gründete und 2013 vom US-Magazin „Inc.“ zu einer der fünf mächtigsten Frauen der Branche gekürt wurde, ungewöhnlich.

Autodidaktisch hochgeblufft

Abbas, die am Donnerstag bei der Konferenz Womenize! der International Games Week in Berlin über Frauen in der Videospielbranche spricht, ist aber auch extrem cool. Anders lässt sich ihre Zielstrebigkeit nicht beschreiben. Nach dem Kunststudium bluffte sie sich durch Vorstellungsgespräche: Ob sie schon mal ein Videospiel entwickelt habe? „Klar, kann ich alles“, log Abbas – und kaufte sich schnell Dutzende Bücher und Magazine über Gamedesign und Animation. „Ich habe mir alles selbst beigebracht“, betont sie.

Nach den Flunkereien kam Abbas‘ Ehrgeiz ins Spiel. Am DigiPen Institute of Technology-AKE Lebanon drückte sie als einzige Designerin zusammen mit 20 Programmierern so aufs Tempo, dass sie sechs Spiele in zwei Monaten produzierten. Die Beförderung zur künstlerischen Leiterin der Abteilung folgte. Nach dem Erfolg des politischen Spiels Douma Game gründete sie 2008 mit Ehemann Ziad Feghali und Karim Abi Saleh Wixel das erste Indie-Game-Studio im Libanon. Bisher größtes Spiel des Studios ist Survival Race: Life or Power Plants, das den Klimawandel thematisiert und zu 25 Prozent von Frauen gespielt wird. Bei so einem Lauf blieb Abbas lange keine Zeit, mangelnde Gleichberechtigung zu beobachten – die fiel ihr erst später als Mutter auf.

Gründend schwanger

Drei Monate nach Gründung von Wixel war Abbas das erste Mal schwanger. Inzwischen hat sie einen sechsjährigen Sohn, eine drei und eine zwei Jahre alte Tochter – „alles Gamer“. Kinder und Karriere wuppt sie gemeinsam mit ihrem Mann: „Alles Teamwork.“ Noch immer wollten jedoch viele Männer im Libanon, dass ihre Frauen – die meist einen akademischen Abschluss haben – sich zu Hause um die Kinder kümmerten, sagt Abbas. Dass das für sie nie in Frage käme, war ihrem Mann wohl immer klar: Die beiden sind ein Paar, seit sie 18 sind, und studierten schon gemeinsam.

Die 36-Jährige ist nach eigenen Angaben die einzige Gamedesignerin im Libanon. Ohnehin ist die Branche in der arabischen Welt noch kaum existent. Für ihre Firma findet Abbas bisher keine Mitarbeiterinnen. Sie denkt jedoch positiv: „In zehn Jahren wünsche ich mir 50 Prozent Frauen in der Branche. Daran arbeite ich.“

„Die Mütter sind das Problem“

Neben ihrem Job als Unternehmerin ist Abbas ständig in Sachen Überzeugungsarbeit unterwegs. Sie unterrichtet an zwei libanesischen Universitäten, gibt Workshops, gründet derzeit eine Game Academy für Kinder. Abbas will früh gegen geschlechtsstereotype Verhaltensweisen durch Erziehung vorgehen – Bits statt Barbies. Täglich grübelt sie, wie eine App aussehen müsste, die Mädchen für Technologie begeistert. Bisher kommt in ihren Workshops meist ein Mädchen auf 20 Jungen – obwohl sie die Kurse für Mädchen schon kostenlos anbot. „Die Mütter sind das große Problem“, sagt Abbas. Die wollten ihre Töchter lieber im pinkfarbenen Tutu beim Ballett sehen.

INFOBOX: CROWDFUNDING-PROJEKT AURORA
Das erst wenige Tage alte, jüngste Projekt aus dem Hause Wixel heißt Aurora und ist eine für iOS und Android geplante mobile Plattform für krebskranke Kinder. Via Aurora können Drei- bis Elfjährige während der Behandlung im Team der Superhelden spielen, interaktive Bücher lesen und sich weltweit mit anderen vernetzen und austauschen. Ziel ist es, die durch die Behandlung oft sehr geschwächten Kinder emotional zu stärken. Über die Crowdfunding-Plattform Zoomaal sollen 120.000 US-Dollar gesammelt werden. Aurora soll später für einen US-Dollar erhältlich sein, auch die monatliche Unterstützung mit einem US-Dollar wird angeboten. 60 Prozent der Einnahmen sollen in die Krebsforschung fließen, 40 Prozent in die Entwicklung der Spiele und Bücher.

Veröffentlicht auf heute.de am 22. April 2015.