„Disneyland für gestresste Erwachsene“

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Lomi-Lomi-Massage, Klangschalen-Aufguss und Ayurveda-Hotels: Die Deutschen lieben Wellness – oder ihre Interpretation davon. Experten betonen indes: „Wellness ist kein Vergnügen.“

Es gibt Wörter, die begegnen einem ständig. Wellness gehört dazu – und zwar nicht nur im Zusammenhang mit schicken Hotels und Thermalbädern. Wer bei Google nach „Wellness“ sucht und nach „Shopping“ filtert, findet Säfte und Kräutertees, Sessel und Liegen, Bademäntel und Saunatücher, Duschköpfe und Schwämme, Massagebürsten und Fußreflexzonensocken. Und sogar Hundefutter. Längst ist der rechtlich nicht geschützte Begriff ein Keyword des Marketings geworden.

Das ärgert den Geschäftsführenden Vorsitzenden des Deutschen Wellness Verbandes, Lutz Hertel: „Aus fachlicher Perspektive hat das alles gar nichts mit Wellness zu tun“, sagt er. Wellness sei eine Lebensphilosophie und ein damit verbundener Lebensstil. Jeder Mensch solle nach seinen individuellen Voraussetzungen bestmöglich leben. Ein aktives Konzept, zu dem Bewegung, Ernährung und Schlaf gehören, und das wenig mit der passiven Ab-auf-die-Massageliege-Mentalität zu tun hat. „Wellness ist kein Vergnügen, sondern mit Arbeit und Veränderung verbunden“, betont er.

Vor allem im deutschsprachigen Raum breitet sich allerdings seit Jahren eher das aus, was der Experte „Disneyland für gestresste Erwachsene“ nennt. Die gefühlt weiter steigende Beliebtheit von Wellness lässt sich statistisch übrigens nicht belegen, da es entsprechende Daten schlicht nicht gibt. Das hat auch mit der Dehnbarkeit des Begriffs zu tun: Ist jedes Haus mit Sauna, Schwimmbad und Masseur ein Wellness-Hotel? Wann ist eine Therme ein Wellnessort und kein Freizeitbad?

Transformative Reisen hoch im Kurs

Schätzungen zufolge werben in Deutschland 1.000 bis 1.200 Hotels mit dem Label Wellness. „Etwa 20 Prozent davon würden unsere Anforderungen mit einem zugedrückten Auge erfüllen“, sagt Hertel. Bei Thermen seien es um die 30 Bäder. Ungeachtet von Definitionen gilt: Da stetig neue Hotels eröffnen, und fast alle inzwischen einen Wellnessbereich haben, kann hier recht sicher von steigender Tendenz gesprochen werden. Auch in Meinungsumfragen stehe Wellness-Urlaub immer weit oben auf der Wunschliste, sagt Hertel.

Mit Ausnahme von 2019 veröffentlichte der Wellness Verband in der Vergangenheit jährlich Trendberichte. Aktuell passiert jedoch eher wenig Neues und Bestehendes setzt sich fort – zum Beispiel Naturerlebnisse, Outdooraktivitäten und entschleunigte Aktivitäten wie Slow Jogging. Oder das transformative Reisen, bei dem der Urlaub zur Kombination aus Natur, Performance und aktivem Mitmachen wird – buchbar etwa als Rundreise durch die Six Senses Lodges in Bhutan, die sich der Kunst des glücklichen Lebens widmen. Intensives Erleben soll so zu einer neuen Lebensweise führen.

Forderungen nach „Green Spas“ werden lauter

Hertel wünscht sich, dass Themen wie Mental Wellness populärer würden. Gemeint ist die Entwicklung eines kritischen Geistes und scharfen Verstandes, „um in der Lage zu sein, im Sinne des ursprünglichen Gedankens von Wellness das Richtige für sich zu tun“.

Der Verband wirbt zudem seit Jahren für sein Konzept des Green Spa, denn ökologisch betrachtet sind Wasser- und Energieverbrauch von Thermen mit Saunalandschaften ein Desaster. Das Konzept finde in der Branche aber keine Zustimmung. „Es gibt maximal vorsichtige Optimierungsversuche“, kritisiert Hertel. Die klimapolitischen Debatten und das Engagement von Aktivisten könnten jedoch auch für diese Branche Folgen haben. „Wellness macht ohne Gesundheit der Umwelt keinen Sinn.“

Wellnessoasen für zu Hause

Immerhin sind dem Experten zufolge nicht Bali, Indien oder Sri Lanka Hauptreiseziel der Wellnesstouristen, sondern Deutschland. Immer mehr Menschen holen sich ihre Vorstellung von Wellness auch nach Hause, animiert durch Zeitschriftentitel wie „So machen Sie aus Ihrem Badezimmer eine Wellnessoase“. Grundsätzlich findet Hertel dies „vernünftig“, denn zu Hause verbringe man die meiste Zeit. Er plädiert indes dafür, die Küche zum heimischen Wellnessort zu machen, damit man Lust bekomme, „selbst und frisch zu kochen“.

Unterdessen verlagert sich nach Ansicht des Trend- und Zukunftsforschers Matthias Horx auch durch die „Therapeutisierung“ der Gesellschaft das Interesse zunehmend in Richtung Achtsamkeit. „Diese Bewegung geht sehr viel weiter“, sagt er. „Neben dem körperlichen ist der psychologische Faktor sehr wichtig – das bedeutet beispielsweise mehr Selbstreflexion.“ Damit finde auch eine „Rückbesinnung auf die Ursprünge“ von Wellness statt.

Veröffentlicht auf heute.de am 13. Oktober 2019