Der Sonnenfinsternis hinterher

Foto: Pixabay / CC0

Eclipse Chaser reisen Sonnenfinsternissen quer durch die Welt hinterher. „Es ist wie eine Sucht“, sagt Astronomie-Fan Jörg Schoppmeyer, der in diesem Jahr mit seinen Teleskopen bereits in Australien, Argentinien, Abu Dhabi und Finnland war.

Jörg Schoppmeyer weiß schon genau, wo er am 6. Januar 2019 mit seinen Teleskopen samt computergesteuerter Kamera postiert sein wird: in Harbin, im Nordosten Chinas, Luftlinie knapp 500 Kilometer von der Grenze zu Nordkorea entfernt. Tausende Touristen reisen dann wegen des spektakulären Eis- und Schneeskulpturen-Festivals mit teils meterhohen Figuren in die Provinzhauptstadt. Der Freiburger Informatiker kommt indes noch wegen eines anderen Schauspiels: Am Dreikönigstag findet über Nordostasien und dem Nordpazifik eine partielle Sonnenfinsternis statt, bei der bis zu 62 Prozent der Sonne vom Mond überdeckt werden.

Schoppmeyer ist Eclipse Chaser: So nennen sich die Astronomie-Fans, die totalen, partiellen und ringförmigen Sonnenfinsternissen (SoFis) oder auch Mondfinsternissen quer durch die Welt hinterherreisen. In diesem Jahr beobachtete der 52-Jährige beispielsweise bereits totale Mondfinsternisse in den USA und Abu Dhabi sowie partielle SoFis in Uruguay, Australien und Finnland. Totale SoFis sind sehr selten: Im Schnitt kann nur etwa alle 360 Jahre über einem bestimmten Ort mit einem solchen Ereignis gerechnet werden – in Deutschland das nächste Mal erst wieder am 3. September 2081.

Schoppmeyer verfolgte bisher 51 „Schwarze Sonnen“, die einst als Zeichen göttlicher Mächte galten. In wie vielen Ländern hat er nicht gezählt, aber Jahr für Jahr ist seine Urlaubsplanung darauf abgestimmt, wann wo der Mond genau zwischen Erde und Sonne tritt. „Es ist wie eine Sucht“, sagt er. „Totale Sonnenfinsternisse sind extrem emotional.“ Binnen kürzester Zeit werde es dunkel, dann noch schneller wieder hell. Ebenso plötzlich werde es sehr kühl. „Es ist völlig unwirklich, man denkt, man ist nicht auf der Erde.“ Da fahren die Gefühle schon mal Achterbahn: „Die Bandbreite reicht von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt. Ich habe schon viele Menschen weinen sehen“, berichtet der Experte.

Erste SoFi auf dem Schulhof

Für das ungewöhnliche Hobby gibt es sogar ein eigenes Ranking, in dem Eclipse Chaser auflisten, wie viele SoFis welcher Art sie wie lange und mit welcher Erfolgsquote beobachtet haben. Schoppmeyer ist auf Rang drei, hinter den US-Amerikanern Paul D. Maley mit 72 SoFis und Jay Pasachoff mit 69. Maley arbeitete von 1969 bis 2010 am NASA Johnson Space Center, Pasachoff ist Astronomie-Professor am Williams College. Auf Platz vier folgt Glenn Schneider, mitverantwortlich für das Hubble-Weltraumteleskop der NASA.

Schoppmeyer ist der einzige Hobby-Astronom an der Spitze der Rangliste, seine Erlebnisse postet er bei Facebook unter Schoppy’s Eclipse-Weltreisen. Bei der Solar Eclipse Conference (SEC) im belgischen Genk hielt aber auch er jüngst einen Fachvortrag: Im Februar 2017 hatte er in der argentinischen Pampa während einer ringförmigen Sonnenfinsternis Aufnahmen gemacht, die darauf hindeuten, dass der Sonnendurchmesser größer als bisher angenommen sein könnte. „Meine Fotos zeigen einen Ring, den es nicht geben dürfte, wenn die Werte, die in Berechnungen genutzt werden, korrekt sind“, erklärt er. Nun beschäftigt dieses Kuriosum die Wissenschaft.

Seine erste Sonnenfinsternis beobachtete Schoppmeyer 1976 als Zehnjähriger auf dem Pausenhof der Grundschule Oberbecksen in Bad Oeynhausen. Ein Lehrer drückte ihm einen Filter in die Hand, mit dem er sich die Sonne ansehen sollte. „Die hatte so eine Kerbe, die sich schnell veränderte“, erinnert er sich – und dass er sich ab sofort für Astronomie begeisterte. Er quengelte so lange, bis seine Eltern ihm ein Fernrohr kauften und abonnierte die Zeitschrift „Sterne und Weltraum“. Als er 1981 zur totalen SoFi nach Russland reisen wollte, zeigten ihm seine Eltern noch einen Vogel. Drei Jahre später war er 18, hatte einen Führerschein und fuhr mit seinem Schwager mit dem Auto von Bielefeld zur ringförmigen SoFi nach Marokko.

Helikopter auf Stand-by

Schoppmeyers Passion ging aber noch weiter: Er bestellte sich ein Buch bekannter Mathematiker mit Berechnungsalgorithmen, kaufte einen Computer und schrieb mit viel Mühe selbst ein Programm, mit dem sich der ideale Standort zur Beobachtung der nur  Sekunden oder wenige Minuten dauernden Totalität von Sonnenfinsternissen ermitteln ließ. Während des Studiums – „ich habe nur deswegen Informatik studiert“ – fehlte ihm das Geld für weite astronomische Trips, „aber seit Juni 2001 habe ich jede Sonnenfinsternis gesehen“. Inzwischen hat er auch seine Partnerin angesteckt, die seit 2008 auf 22 SoFis kommt.

Eclipse Chaser sind derweil extrem wetterabhängig, bei Wolken oder Regen kann eine Tausende Kilometer weite Reise schnell enttäuschend enden. 2009 war Schoppmeyer auf den zu Australien gehörenden Kokosinseln im Indischen Ozean, eine Woche lang schien nur die Sonne – doch genau zum Zeitpunkt der SoFi ging der Regen los. Im April 2014 flog er, als sich unerwartet das Wetter verschlechterte, morgens spontan von Melbourne nach Adelaide. Mobilität ist ein As im Ärmel der SoFi-Fans: „Manche haben einen Helikopter auf Stand-by.“ In der Szene kennt man sich übrigens, bei den Topschauspielen am Himmel ist oft die gesamte Community vertreten. „Das ist ein Hardcore-Verein“, sagt Schoppmeyer.

Sein Urlaub für das kommende Jahr ist natürlich auch schon gebucht: Zur SoFi am 2. Juli, die über dem Pazifischen Ozean beginnt und nur in Chile und Argentinien vom Festland aus zu sehen sein wird, werden seine Partnerin und er ihre Teleskope in Argentinien irgendwo zwischen Cordoba und Buenos Aires aufbauen.

Veröffentlicht auf n-tv.de am 28. Dezember 2018