Kochen nach Farben

Suzanne Stougie schreibt Rezepte für Zeitschriften, Webseiten, Kochbücher, Supermärkte und Elektrogerätehersteller. Ihren eigenen Stil hat sie als Lektorin bei Starkoch Jamie Oliver in London entwickelt. 

Wenn die Rezeptautorin Suzanne Stougie für eine Zeitschrift ein neues Gericht entwickelt, dann ist das Essen eigentlich schon längst fertig. Zumindest auf dem Foto. Oft steht am Anfang ihrer Arbeit nämlich ein Bild – oder auch nur eine Moodboard genannte Collage mit Farben. Dazu schreibt die 44-Jährige dann ein passendes Rezept. Der Grund für die ungewöhnlich anmutende Reihenfolge: Während es Foodbilder lizenzfrei zuhauf gibt, kosten eigene Stylisten und Fotografen Geld. Und selber Kochen und Zutaten einkaufen viel Zeit.

Als Rezeptentwicklerin und -autorin steht die Holländerin daher nicht vor allem am Herd, sondern sitzt an ihrem Schreibtisch. „In meiner Arbeitszeit denke ich vor allem nach“, sagt sie. „Die meisten Rezepte schreibe ich im Kopf – gekocht habe ich dann noch gar nicht.“ Stougie verfasste bereits Tausende Rezepte und bereitete etliche davon auch selbst zu, „ich muss das Lammfleisch nicht jedes Mal wieder neu braten“, erklärt sie. Wenn sie mal vom Arbeitszimmer in die Küche wechselt, dann für Details – etwa um eine neue Sauce zu testen.   

Seit elf Jahren ist Stougie freiberuflich von Berlin aus tätig, ihre Kunden sitzen überall – etwa in den Niederlanden, Großbritannien und Australien. Sie schreibt für die „Margriet“, eine der meistverkauften holländischen Frauenzeitungen, entwickelt Rezepte für Smulweb.nl, dem holländischen Pendant zu Chefkoch.de, und erstellte ein Foodwikipedia für Thuisbezorgd.nl, das holländische Lieferando. Sie erarbeitete Rezeptbeilagen für Konzerne wie Unilever, die Supermarktkette Lidl oder den Haushaltsgerätehersteller Philips. Mit „Van de Saladebar“ und „Polles Pannenkoekenboek“ veröffentlichte sie auch zwei eigene Kochbücher. Und sie ist Ghostwriterin für Köche, die ihr Metier beherrschen, aber keine talentierten Autoren sind.

Stougies Fachgebiet sind „Rezepte für zuhause, die wirklich von normalen Leuten gekocht werden können“. Auf holländisch heißt das „Thuiskok“. „Ich koche immer mit dem Leser im Kopf“, betont sie. Außerdem schwört sie darauf, mit nur wenigen Zutaten zu arbeiten, aber diese „glänzen zu lassen“. Diesen Stil hat sie von keinem geringeren als dem britischen Starkoch Jamie Oliver gelernt, bei dem sie drei Jahre lang als Lektorin in London arbeitete. Sie wirkte an seinen Büchern, Kolumnen für Zeitungen und Magazine sowie TV-Sendungen mit. Wenn Oliver vor der Kamera kochte und dabei in der Regel viel improvisierte, stand Stougie hinter den Kameras und haute in die Tasten ihres Laptops. „Es gab zwar immer ein Gerüst für das Gericht, aber wie er es dann genau machte – welche Mengen welcher Zutaten er zum Beispiel nutzte -, habe ich mitgeschrieben, und wir haben es später weiterentwickelt.“

Einstieg bei Jamie Oliver

Dabei wollte Stougie ursprünglich gar nicht in die Kochbranche. Sie hat einen Abschluss in Psychologie und einen in Gesundheitswissenschaften, nach dem Studium strebte sie eine Karriere in der Forschung an. Die Promotion brach sie jedoch ab, weil ihr diese Art des Arbeitens dann doch zu spezialisiert und einsam war. Als Studentin hatte sie ein Jahr in Oxford verbracht, das Land und seine Leute gefielen ihr – also ging sie zurück. Sie belegte Journalismus-Kurse, übernahm Zeitarbeitsjobs in Medienbetrieben und stellte fest: Ich will Bücher machen. Sie bekam einen Job als Assistenzlektorin bei der Penguin Group, bewarb sich von dort aus bei der Jamie Oliver Group – und wurde genommen. Die Arbeit mit dem Starkoch wurde zum Sprungbrett für eine leitende Stelle in einem Kochbuchverlag – die sie dann indes wieder aufgab, um ihrem Freund, einem Musiker, nach Berlin zu folgen.

Stougie selbst ernährt sich meist vegetarisch. Was sie gar nicht mag, sind Miesmuscheln und Austern. In ihren Rezepten dürfen diese aber vorkommen. Schwierig findet sie eher Aufträge, die da lauten „kalorienarm und lecker“ oder „vegan backen ohne Butter und Eier“.  Auch der „Superfood“-Trend ist nicht ihr Ding, und „Ziegenkäse mit Honig“ hat sie inzwischen über. Ihre immer gültigen Tipps lauten derweil: frische Kräuter und ein Schuss Zitrone. Von einem englischen Koch guckte sie sich „ein Eigelb extra“ ab, „das ist bei Pfannekuchen top“, empfiehlt sie. Ein strenges Urheberrecht gilt bei Rezepten übrigens nicht, ein Ehrenkodex gebietet es aber, ein paar Elemente zu ändern und alles in eigenen Worten aufzuschreiben.

Im Urlaub geht Stougie gern in heimische Supermärkte und kauft Gewürze oder etwa eine besondere Sorte Reis ein. In Thailand aß sie mal einen extrem leckeren Salat – und fragte anschließend in der Küche nach, ob sie wiederkommen und diesen mit zubereiten dürfe. Danach wusste sie: Die ihr unbekannte Zutat war roher Wasserbüffel, das Dressing bestand aus Galle des Tieres. Nochmal nachmachen würde sie den Salat zuhause nicht, aber sie weiß jetzt: „Wenn man es richtig zubereitet, schmeckt alles gut.“ Offen für Vieles und Neues zu sein, gewöhnte sie sich schon in ihrer Anfangszeit bei Jamie Oliver an: „Aus Angst, vielleicht unangenehm aufzufallen, habe ich alles probiert.“

Veröffentlicht am 9. Februar 2019 auf n.tv.de