Der Traum vom Flugzeug

Foto: Maximilian Bolte Alvarez

Grob geschätzt einige Tausend Menschen in Deutschland pilgern regelmäßig zu Flughäfen, um dort bestimmte Maschinen zu sichten und zu fotografieren: Planespotter. Der 17-jährige Maximilian Bolte Alvarez aus Landshut ist einer von ihnen. Sein Lieblingsflieger: der Airbus A350.

Planespotter müssen für ihr Hobby oft viel laufen. „Für den perfekten Winkel geht man auch schon mal 40 Minuten“, sagt Maximilian Bolte Alvarez. In München, wo er unterwegs ist, sei der Flughafen jedoch komplett umzäunt, „da gibt es viele Möglichkeiten, sich zu postieren“. Der 17-Jährige gehört zu den Menschen, die ihre Faszination für Flugzeuge stundenlang so nah wie möglich an das Rollfeld treibt, um etwa den Erststart einer neuen Maschine live zu erleben oder einen Flieger mit Sonderlackierung zu sehen. Und das Ganze zu fotografieren – für die eigene Sammlung, den Upload in spezielle Datenbanken der Szene oder die Community in sozialen Netzwerken.

Die jährliche Münchner Sicherheitskonferenz im Februar ist daher ein wichtiger Termin im Kalender des Schülers aus dem bayerischen Landshut. „Da kommen viele ausländische Regierungschefs mit Flugzeugen, die sonst nicht in München landen“, sagt er. Dann drängen sich etliche Planespotter mit Kameras, Objektiven, Stativen und Leitern am Zaun und auf Hügeln. „Ich bin immer da, wenn was Spezielles zu sehen ist“, sagt Maximilian.

Zum Beispiel im April der Lufthansa-Erstflug eines Airbus A350-900 von München ins japanische Osaka. Maximilian sieht in der Maschine mehr als nur das modernste Langestreckenflugzeug der Welt: „Der A350 hat sehr besondere Flügelspitzen und eine ungewöhnliche Nase“, erklärt er. „Und durch die schwarze Färbung um die Cockpitfenster sieht es so aus, als hätte er eine Brille auf.“ Der 17-Jährige war bei der Einweihung der Nonstop-Verbindung auch Gast des offiziellen Gate-Events. Für die Airlines ist er längst kein Unbekannter mehr, sie laden ihn regelmäßig zu Veranstaltungen ein. Bei Instagram hat er mehr als 27.400 Follower und gilt damit als Micro Influencer.

Vorbereitung per Tracking-App

Schon im Kindergartenalter sei das Schönste am Urlaub für ihn der Hin- und Rückflug gewesen, erinnert sich Maximilian. Später habe er angefangen, sich detaillierter für die Technik zu interessieren, irgendwann kam das Äußere der Flugzeuge hinzu. Ungewöhnliche Bemalungen haben es ihm – wie den meisten Planespottern – besonders angetan. Darum mag er auch Etihad Airways, die Fluggesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate, die für spezielle Lackierungen bekannt ist und etwa 2018 einen Airbus A380 mit dem Konterfei des Emirate-Gründervaters „Scheich Zayed“ verzierte. Auch die vier Retro-Lackierungen, mit denen British Airways die Boeing 747 und den Airbus A319 zum 100. Jubiläum dekorierte, will er unbedingt noch alle sehen.

Als Maximilian als 13-Jähriger begann, zum Flughafen zu pilgern, musste er noch warten, bis seine Eltern Zeit hatten, ihn zu fahren. Inzwischen gibt es einen Direktzug zwischen Landshut und „Franz Joseph Strauß“ – die der Schüler wegen vieler Klausuren aktuell aber nicht so oft besteigt, wie er gern würde. Bevor er sich auf den Weg macht, checkt er mit der App Flightradar24 die aktuellen Flugpläne. Der Trackingdienst, der Flugzeugpositionen in Echtzeit darstellt, zeigt sämtliche Details zu Flügen an: Airline, Registrierung, Flugnummer, Flughöhe und Geschwindigkeit über dem Boden. Auf dem Foto der Maschine lassen sich auch mögliche Sonderlackierungen erkennen.

Am Flughafen ist dann der richtige Ort wichtig – das heißt vor allem: Sonne im Rücken, kein Gegenlicht. Je nach Größe, Gewicht und Auslastung können erfahrene Planespotter kalkulieren, wann und wo genau eine Maschine abhebt und ihre Leiter entsprechend ausklappen. In der Szene gibt es auch beliebte Flughäfen, Amsterdam Schiphol etwa, weil es dort wenig Zäune gibt, und man nah rankommt. Oder der Princess Juliana International Airport im niederländischen Teil der Karibikinsel St. Martin wegen des spektakulären Anflugs über den Strand Maho Beach.

Bearbeitung wichtiger als Kamera

Inzwischen sei das Foto für ihn fast wichtiger als das Flugzeug, gibt Maximilian zu. Rund 20.000 Bilder hat er zuhause archiviert, „ein paar Speicherkarten habe ich aber auch verloren“. Während einige Planespotter Tausende Euro für ihre Ausrüstung ausgeben und stundenlang über Brennweiten fachsimpeln, fotografiert der 17-Jährige mit einer Spiegelreflexkamera und einem Objektiv für zusammen etwa 500 Euro. „Es kommt für mich nicht aufs Equipment, sondern die Bearbeitung an.“ Zehn Stunden am Flughafen können so auch mal 15 Stunden Arbeit mit Adobe Lightroom bedeuten.

Seinen Instagram-Account planespottermuc richtete er im März 2015 ein, alle zwei Tage postet er dort ein Foto. Die ersten 100 Follower waren schon aufregend für ihn, 2016 und 2017 ging sein Account dann durch die Decke, und er verbuchte pro Jahr um die 10.000 Follower mehr. Im Durchschnitt bekommt er 5.000 Likes pro Bild sowie Dutzende Kommentare – auf die er alle antwortet. In die Pflege seines Profils und den Kontakt mit Followern investiert er rund zwei Stunden pro Tag – in Freistunden oder im Bus auf dem Hin- und Rückweg zur Schule. „Das macht aber Spaß.“

Planespotting ist übrigens eher ein männliches Hobby. „Mir folgen nur 13 Prozent Frauen“, sagt Maximilian. Zudem gebe es in der Szene zwar immer mehr Jüngere, die meisten seien indes 40 Jahre und älter. Im Internet kursieren Schätzungen, denen zufolge es hierzulande etwa 2.000 Planespotter gibt. Nach Ansicht des 17-Jährigen ist diese Zahl zu niedrig – er tippt auf etwa das Doppelte.

Maximilians bisher emotionalster – und vor allem traurigster – Tag am Flughafen war übrigens der 27. Oktober 2017, das Datum des letzten Flugs der insolventen Air Berlin mit einem Airbus A320. „Das war damals meine Lieblings-Airline, ich wollte sogar Pilot bei Air Berlin werden“, sagt er. Selbst im Cockpit sitzen will er inzwischen nicht mehr. Heute findet er Berufszweige wie Marketing und Management spannender. Und die wirtschaftliche Planung der Fluggesellschaften.

Veröffentlicht auf n-tv.de am 2. Juni 2019.