Lost in Translation

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Damit Videospiele in möglichst viele Länder verkauft werden können, müssen sie übersetzt beziehungsweise lokalisiert werden. Ein kniffliger Job, denn die Textdatei eines Games hat oft auf den ersten Blick keine logische Struktur – dafür aber hunderte Seiten.

Marcel Weyers geht bei der Arbeit oft so vor, als setze er Teilchen für Teilchen ein Puzzle zusammen: was könnte ins Hauptmenü gehören, was zu den Optionen, was zum Start-Button. Kürzlich bekam er zum Beispiel eine einzige Datei mit 80.000 Wörtern geschickt, in einem Word-Dokument entspräche das etwa 180 Seiten – ohne Gliederung. „Ich wusste nicht, welcher Textschnipsel wohin gehört, was Dialoge und was Hinweise für Spieler sind – oder auch einfach nur Code-Fragmente“, sagt er. Dass ein Auftrag erst etwas rätselhaft wirken kann, ist in seinem Job nicht ungewöhnlich: Der 28-Jährige übersetzt beziehungsweise lokalisiert Videospiele, vom Englischen ins Deutsche und umgekehrt.

Weyers arbeitet meist freiberuflich und im Alleingang, entsprechend sind die Titel, die er bearbeitet, kleiner als die bekannten Spiele für Konsolen wie die PlayStation oder Xbox, an denen große Teams mit teils Dutzenden Übersetzern monatelang dran feilen. Bisher lokalisierte er rund 150 Spiele mit bis zu 350.000 Wörtern, vor allem Adventure Games, Dating-Sims und Visual Novels. In seinem Portfolio finden sich Titel wie „Demetrios“, „Gibbous – A Cthulhu Adventure“ oder Teile der „Story of Seasons“-Serie, ehemals bekannt als „Harvest Moon“.

Von Videospiellokalisierung spricht man, weil es um mehr geht als nur ums Übersetzen. „Ich muss darauf achten, die Sprache ans Land anzupassen, zum Beispiel bei Eigennamen oder Markenprodukten“, erklärt Weyers. Also aus einem Hardee’s einen Burger King und einem Kleenex ein Tempo machen. „Ziel ist, dass der Spieler nicht merkt, dass das Spiel übersetzt wurde, sondern denkt, es sei auf Deutsch geschrieben worden.“

„Katzenwortspiele bereiten mir manchmal Kopfschmerzen.“

Kompliziert wird es beim Humor, der von Sprache zu Sprache anders funktioniert. „Katzenwortspiele bereiten mir manchmal Kopfschmerzen“, räumt Weyers ein. Müssen dann ganze Passagen umgeschrieben werden, heißt das im Fachjargon Transkreation. Oft sind Sätze im Englischen auch kürzer als im Deutschen, sodass der übersetzte Text plötzlich mit der Menü-Schaltfläche überlappt. Lassen sich partout nicht genug Zeichen einsparen, muss notfalls der Entwickler Platz schaffen.

Der 28-Jährige arbeitet meist unter Zeitdruck und mit kurzen Deadlines. Nur selten kann er ein Spiel vor der Lokalisierung selbst testen oder gar mehrmals durchspielen. Meist recherchiert er im Internet Videos, Trailer, Bilder – schlicht alles, was es schon gibt. Wühlt er sich dann durch eine riesige Textdatei, hat er möglicherweise irgendetwas schon mal irgendwo auf einem Screenshot gesehen und kann es schneller zuordnen. Hin und wieder schicken Entwickler auch Anmerkungen mit.

„Das Spiel ist raus, da kommt die Idee auf, es noch schnell in fünf Sprachen zu übersetzen.“

Die Lokalisierung eines Spiels steht allerdings in der Regel weiter hinten auf der Prioritätenliste der Studios. Weyers hat schon die Erfahrung gemacht: „Das Spiel ist raus, da kommt die Idee auf, es noch schnell in fünf Sprachen zu übersetzen.“ Während die Entwickler sich jahrelang in das Spiel reingefuchst hätten, werde der zeitliche Aufwand der Lokalisierung oft unterschätzt.

Dennoch sei es für seinen Job wichtig, selbst begeisterter Spieler zu sein, sagt der Experte. Man ist mit Spielmechaniken und -abläufen vertraut, kennt typische Begriffe aus Menüs und Optionen. Sehr gute Sprachkenntnisse und ein sicheres Sprachgefühl gehören natürlich zu den Basics. Weyers übersetzt nach eigenen Worten „relativ frei“ und nutzt kaum CAT-Tools genannte Übersetzungsprogramme – und wenn doch, dann MemoQ. Dessen Translation Memory erkennt zum Beispiel, ob etwas schon mal übersetzt wurde und übernommen werden kann.

Weyers kam via Learning-by-doing-Prinzip sowohl über das Spielen als auch das Interesse an Literatur und Sprachen zu seinem Job. Schon zu Schulzeiten las und spielte er Bücher und Games auf Englisch. Während des Germanistik- und Anglistikstudiums mit Schwerpunkt Literatur an der Justus-Liebig-Universität in Gießen übersetzte er bereits Videospiele für Freunde ins Deutsche. „Das nahm dann nebenbei an Fahrt auf“, sagt er.

„Meine Übersetzungen waren mit die ersten, die es auf Deutsch gab.“

Spezialisiert ist Weyers auf Visual Novels, das sind sehr textlastige Spiele. Das Genre stammt aus Japan und war hierzulande lange unbekannt. Noch immer ist es eher ein Nischenthema. Weyers entdeckte 2010 die ersten Visual Novels im Netz, mochte sie und baute sein Portfolio damit auf. „Meine Übersetzungen waren mit die ersten, die es auf Deutsch gab“, sagt er. Entwickler wurden auf ihn aufmerksam und schrieben ihn an. Bis heute hat er in diesem Bereich wenig Konkurrenz.

Grundsätzlich gibt es derweil schon etliche Agenturen für Videospiellokalisierung. Auch Weyers wird von mehreren regelmäßig mit Aufträgen versorgt. Eine Festanstellung strebt er nicht an, lieber will er unabhängig sein und Arbeiten und Reisen verbinden. Schon nach dem Studium machte er ein Jahr lang Work and Travel in Neuseeland. Aktuell ist er in Australien, schreibt ein Buch über Videospiellokalisierung und hielt am 12. Oktober einen Vortrag auf der Gaming-Messe PAX Aus in Melbourne. Zum Zeitpunkt des Interviews mit Golem.de übersetzte er von Tasmanien aus das Adventure Game „Brok“ des französischen Indie-Studios COWCAT Games, ein Projekt mit rund 140.000 Wörtern. Ende Dezember geht es für ihn vorerst zurück nach Dresden, 2020 reist er nach Japan.

„Aus einer schlechten Übersetzung ins Englische eine gute ins Deutsche zu machen, ist oft schwierig.“

An der Lokalisierung eines Spiels sitzt Weyers im Schnitt zwischen einer und vier Wochen. „An einem guten Tag“ übersetzt er um die 10.000 Wörter, „mein Rekord liegt bei 15.000.“ Ein Durchschnittstempo schätzt er auf 5.000 bis 7.000 Wörter pro Tag. Das flotte Schreiben lernte der gebürtige Limburger bei einer Ausbildung zum Fremdsprachensekretär – „das hilft mir jetzt“. Denn je schneller, desto besser das Honorar. Einen „guten Verdienst“ beziffert er mit zehn Cent pro Wort. Das bedeutet umgerechnet: Ein fixer Übersetzer kann maximale Tagessätze von 1.000 bis 1.500 Euro erreichen.

Die Spiele, die Weyers lokalisiert, kommen aus den USA, Großbritannien und Australien, zunehmend aber auch aus Russland, Polen oder Rumänien und wurden dann schon dort ins Englische übersetzt. Das ist nicht immer optimal: „Aus einer schlechten Übersetzung ins Englische eine gute ins Deutsche zu machen, ist oft schwierig“, sagt er. Und während derjenige, der ein Videospiel gut lokalisierte, in der Regel nie erwähnt wird, „ist umgekehrt die Hölle los, wenn die Übersetzung schlecht ist“.

Veröffentlicht auf Golem.de am 12. November 2019