Auf der Suche nach dem richtigen Dreh

Foto: Pixabay / CCo

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Vor diesen Spezialisten ist kein Gemäuer, keine Wohnung sicher: Locationscouts fahnden ständig nach dem perfekten Motiv für Kino- oder Fernsehfilme. Oft fahren sie 50 mögliche Drehorte ab – damit nicht zum Beispiel in einem Historienschinken Satellitenschüsseln oder Windräder ins Bild ragen.

Von Nadine Emmerich

Wenn Roland Gerhardt ins Kino geht oder fernsieht, erkennt er oft Orte wieder, an denen er schon einmal gewesen ist – oder die er selbst vorgeschlagen hat. Gerhardt ist als Locationscout für Film, Fernsehen und Werbung tätig. Für einen abendfüllenden Spielfilm fährt er 30 bis 80 mögliche Drehorte ab.

So entdeckte Gerhardt für die ARD-Serie „Türkisch für Anfänger“ in Berlin-Friedenau das Elternhaus der Familie; für die aktuelle Verfilmung des Bestsellers „Russendisko“ von Wladimir Kaminer stieß er auf die alte Kantine eines Sportplatzes – im Film jetzt das Hinterzimmer des Clubs „Kaffee Burger“. Für Julie Delpys Drama „Die Gräfin“ suchte er sämtliche Motive, für einen Spielfilm über Helmut Kohl fand er ein Grundstück, das als Gemüsegarten von Kohls Eltern im Jahr 1947 dienen konnte.

In den USA sind Locationscouts seit langem fester Teil der Filmbranche, in Deutschland setzte sich der Beruf erst in den neunziger Jahren langsam durch. Im September 2010 gründete sich der Bundesverband Locationscouts (BVL). Vorsitzender ist Roland Gerhardt. Früher hätten Szenenbildner die Drehorte ausfindig gemacht, inzwischen werde die Aufgabe auch aus Zeitgründen an Spezialisten abgegeben, sagt er. Seine Berliner Firma Location Networx hat rund 200 Projekte pro Jahr, in der Datenbank liegen rund 9000 Locations.

Ausgefallene Wohnungen sind als Drehorte gefragt

Die Arbeit der Locationscouts ist projektbezogen, bei Bedarf fragt eine Filmproduktion die Experten an. Sie lesen das Drehbuch, treffen sich mit dem Szenenbildner und besprechen, „in welcher Welt“ die Geschichte spielt. Dazu gehören Personen, Outfits – und „ob jemand in einem Alt- oder Neubau wohnt“, sagt Gerhardt. Der Locationscout macht dann Vorschläge an die Szenenbildner und Regisseure, bevor die Ortsbesichtigung folgt.

Für „Russendisko“ suchte Gerhardt auch eine große Wohnung mit einer Blickachse durch mehrere Zimmer. Ausgefallene Wohnungen bieten ihm oft Mieter oder Eigentümer an, die ihr Zuhause für filmreif halten. Eine lukrative Sache für die Bewohner: Das Honorar ist frei verhandelbar, kalkulieren lässt sich aber laut Gerhardt mit einer Nettokaltmiete pro Drehtag.

Veröffentlicht auf „Spiegel Online“ am 3. Juni 2011.