Berlinale der „starken“ Frauen?

Foto: Pixabay / CC0

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Neben hochkarätigen Filmen scheint kaum ein Festival mehr ohne die Gender-Debatte auszukommen. In Cannes und Venedig wurde bereits über zu wenige Frauen hinter der Kamera diskutiert. Nun steht das Thema Quote in Berlin auf der Agenda.

Filme über „starke Frauen in extremen Situationen“ seien 2015 ein Schwerpunkt, kündigte Festivaldirektor und Unterstützer der Initiative Pro Quote Regie (PQR,) Dieter Kosslick, frühzeitig an. Und Isabel Coixet, Regisseurin des Eröffnungsfilms „Nobody wants the Night“ über zwei Frauen im Überlebenskampf in der Arktis, bekam den Titel der – erst – zweiten Frau in der 65-jährigen Geschichte der Berlinale, die diese eröffnen durfte.

Spätestens an Tag drei gerät das Leitmotiv der starken Frauen indes in Schieflage. Nehmen wir Coixets Drama, in dem Juliette Binoche als Josephine Peary ihrem Gatten, dem Forscher Robert Peary, auf Teufel komm raus an den Nordpol folgen will. Binoche ist wie immer hinreißend, doch diese dickköpfige Zicke, die ihren Mann allen Gefahrenwarnungen zum Trotz nach Hause holen will, soll eine starke Frau sein? Diese Park-Avenue-Schickse, die mit Seidenkleid, Kristallgläsern und Grammophon ins ewige Eis aufbricht? Diese undankbare Frau, die dabei etliche Huskies und einen treuen Führer verschleißt – und am Schluss auch ihre Lebensretterin? Coixet hatte sich mit „Mein Leben ohne mich“ und „Das geheime Leben der Worte“ als Spezialistin für toughe Frauenfiguren empfohlen. „Nobody wants the Night“ kann daran nicht anknüpfen.

Schmachten in der Wüste

Nicole Kidman als britische Forschungsreisende, Historikerin, Archäologin und Schriftstellerin Gertrud Bell (1868-1926) in Werner Herzogs „The Queen of the Desert“ ist klug, Oxford-gebildet und mutig. Auf einem Dromedar wagt sie sich tief in die arabische Wüste, lernt Beduinen und Drusen, Emire und Scheichs kennen, studiert deren Kultur und Machtverhältnisse. Niemand kannte den Nahen Osten besser als die „Königin der Wüste“, die entscheidend an der politischen Neuordnung Arabiens um 1920 mitwirkte. Angesichts Kidmans Omnipräsenz im Film schwärmte Herzog zwar, er hätte viel früher damit anfangen sollen, mit Frauen zu arbeiten. Den politischen Scharfsinn Bells rückte er aber nicht allzu deutlich in den Vordergrund. Stattdessen quält er den Zuschauer vor allem mit ihrem schmachtenden Herzen, das eine verstorbene und eine verheiratete Liebe verkraften muss.

Schicksal der Dienerin

María, eine 17-jährige Maya-Frau, die mit ihren Eltern auf einer Kaffeeplantage am Fuße eines Vulkans lebt, will derweil in der guatemaltekischen Produktion „Ixcanul“ vor der Zwangsheirat mit einem Vorarbeiter fliehen. Als der Kaffeepflücker Pepe sich in die USA absetzen will, verspricht er Maria, sie mitzunehmen – wenn sie mit ihm schläft. Maria, jung und naiv, glaubt Pepe – der sich natürlich allein aus dem Staub macht und sie schwanger zurücklässt. Am Ende muss sie doch den Vorarbeiter ehelichen. Jayro Bistamentes Drama ist ein berührender Film auch über eine enge Mutter-Tochter-Beziehung und spirituelle Riten, dem Kritiker bereits Chancen auf den Goldenen Bären einräumen. Als Porträt einer starken Frau zählt er trotz Marias Entschlossenheit, gespielt von einer großartigen Laien-Hauptdarstellerin, aber wohl eher nicht.

Auch in der von Lea Seydoux verkörperten Kammerzofe Célestine in Benoit Jacquots um 1900 spielenden Romanverfilmung „Diary of a Chambermaid“ sucht der Zuschauer nach jenem Frauentyp. Zugegeben, die selbstbewusste Célestine hält sich wacker jeden lüsternen Hausherren vom Hals. Doch trotz ihres ausgeprägten Stolzes ergibt sie sich dem Schicksal der Dienerin, die für ihre tyrannische Herrin die Treppe rauf und runter flitzt. Schließlich brennt sie mit einem verschrobenen Judenhasser durch, für den sie in einer Hafenkneipe anschaffen soll. Vielleicht war es die berühmte Wahl zwischen Pest und Cholera: Als starke Frau ist aber auch Célestine streng betrachtet durchgefallen.

Sicher müssen alle vier Frauenfiguren im Kontext ihrer Zeit, ihrer Kultur, ihrer persönlichen Situation betrachtet werden. Allerdings saß mit Ausnahme von Coixets Nordpol-Drama auch immer ein Mann auf dem Regiestuhl. „Niemand kann zufrieden sein, wenn die Perspektiven und Blickwinkel von Frauen dermaßen unterrepräsentiert sind“, sagt Barbara Rohm von Pro Quote Regie (PQR). „Wir stellen die Frage, was es bedeutet, wenn Rollenbilder vorwiegend von Männern vorgegeben werden und fordern mehr Vielfalt.“

Von den 441 bei der 65. Berlinale laufenden Produktionen wurden 115 von Frauen gedreht. Das ergibt zwar eine Quote von etwa 26 Prozent – und ist damit nicht ganz so weit weg von dem von PQR verlangten Anteil von 30 Prozent bis 2017. Doch die Gesamtzahlen täuschen: Nur 3 von 23 Filmen in der Königsdisziplin des Wettbewerbs sind von Regisseurinnen.

Veröffentlicht auf n.tv.de am 10. Februar 2015.