Obama, Merkel und der unsichtbare Dritte

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Während US-Präsident Donald Trump das Weiße Haus zunehmend ins Chaos stürzt, lässt sich sein Vorgänger Barack Obama in Berlin beklatschen. Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel plaudert er beim Evangelischen Kirchentag über Gott und die Welt.

von Nadine Emmerich

Während der frühere US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch gemeinsam frühstücken, sind die Schlangen an den Eingangsschleusen am Brandenburger Tor am Donnerstagmorgen schon einige hundert Meter lang. Um elf Uhr sprechen Obama und Merkel dort anlässlich des Evangelischen Kirchentags zum Thema „Engagiert Demokratie gestalten – Zuhause und in der Welt Verantwortung übernehmen“. Doch der Stargast ist eigentlich nur einer: „Obama hat so eine Ausstrahlung und so ein Charisma“, schwärmt die Berlinerin Maria Karas. „Durch Obama bin ich wieder Amerika-Fan geworden.“

Obama demonstriert Einigkeit mit Merkel

Für den Ex-Präsidenten ist die Veranstaltung, zu der rund 80.000 Menschen erwartet wurden, fast ein Heimspiel – Berlin liebt ihn. Als Merkel ihn 2008 noch nicht am Brandenburger Tor sprechen ließ, jubelten ihm rund 200.000 Menschen an der Siegessäule zu – und feierten ihn wie einen Popstar. Ganz so euphorisch ist die Stimmung bei seinem vierten Besuch in der Hauptstadt nicht mehr, dafür kommt bei vielen im Publikum Wehmut auf: Die Bochumer Theologie-Professorin Isolde Karle wünscht sich Obama „100.000 Mal zurück“. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm redet ihn während der Podiumsdiskussion mit „Herr Präsident“ an. Viele Kirchentags-Besucher trauen dem früheren Hoffnungsträger noch immer zu, zu wissen, wie die Welt in schwierigen Zeiten zu einen sei.

Und so betritt Obama am Himmelfahrtstag unter großem Beifall und mit einem „Guten Tag!“ die Bühne: Nach ein paar Monaten Auszeit – unter anderem in der Südsee, der Karibik und der Toskana – und ohne die Bürde der Macht wirkt der 55-Jährige fast noch entspannter als sonst.Er hebt den Kirchentag mal eben lässig auf die weltpolitische Bühne. Und demonstriert erneut seine engen Bande zu Merkel, die er zum Abschied 2016 als seine engste Verbündete adelte. Viele seiner Sätze beinhalten eine Angela-und-Ich-Konstruktion. Als Merkel von Moderator Bedford-Strohm zu Ausnahmeregelungen beim Bleiberecht für Flüchtlinge in die Zange genommen wird, springt er ihr umgehend bei. Als Staats- oder Regierungschef gelte es „Barmherzigkeit“ zu zeigen, aber es gebe auch eine Verpflichtung gegenüber der eigenen Bevölkerung. „Das ist nicht immer einfach.“

Trump ist der unsichtbare Dritte

Obama wählt Worte wie Barmherzigkeit und Güte, spricht wiederholt und mit Nachdruck von Werten. Mehrfach zitiert er den amerikanischen Bürgerrechtler Martin Luther King und stellt einen Kontext zwischen politischen Fragen und seinem Glauben her. Er, der als Präsident immer wieder die Bibel zu Rate zog, ist schließlich als Christ geladen – ebenso wie Pastorentochter Merkel. Mit Blick auf Religion wirbt Obama für Toleranz und Meinungsfreiheit, für gegenseitiges Zuhören, eine Stärkung der Diplomatie statt Militärschlägen. Er fordert eine gerechtere Verteilung des Wohlstands und Chancengleichheit für alle Menschen.

Bedford-Strohm und Kirchentags-Präsidentin Christina Aus der Au peitschen mit ihren prominenten Gästen knapp eine Stunde lang die politische Agenda durch. Terroranschlag von Manchester, Syrien, Flüchtlinge, Auf- beziehungsweise Abrüstung, Nationalismus, Bildung. Schwer vorstellbar, dass der amtierende Präsident Donald Trump den Fragen und Antworten so schnell folgen könnte. Ganz zu schweigen davon, dass „Engagiert Demokratie gestalten“ möglicherweise nicht sein Thema wäre. Trumps Name fällt zwar kein einziges Mal, doch ist er klar der unsichtbare Dritte auf der Bühne. Kaum eine Äußerung des eloquenten Obamas, die nicht unweigerlich die Frage hervorruft: Wie hätte der republikanische Krawallmacher geantwortet?

Obama will „ein guter Trainer“ sein

Der 44. und der 45. Präsident der USA sind süffisanter Weise derzeit zeitglich in Europa, später wird Merkel beim Nato-Gipfel in Brüssel auf Trump treffen, um etwa über Rüstungsausgaben und den Syrien-Krieg zu beraten. Diese Nachrichtenbilder werden vielleicht weniger schön sein. Und so lässt sich Merkel ein bisschen von Obamas Leichtigkeit hinreißen und wagt auch mal ein Späßchen, als Bedford-Strohm sie versehentlich „den Mann an meiner Seite“ nennt.Das letzte Wort hat an diesem Vormittag indes Obama – und er widmet es den jungen Menschen, die zahlreich vertreten sind: Sie seien klug, mitfühlend, solidarisch. „Ich hoffe, dass diese Generation sich engagiert“, betont er. Nur durch Einmischen könne etwas bewegt werden. Seine Aufgabe sieht der Gründer der Obama-Fundation daher nun darin, „ein guter Trainer zu sein“ und die nächste Generation von Führungspersönlichkeiten auszubilden. Das dürfte die Nostalgiker freuen: Ein bisschen Obama bleibt.

Veröffentlicht auf heute.de am 25. Mai 2017.