Detektivarbeit in Hinterhöfen

Foto: VanMoof

Weil ihre schicken E-Bikes ständig geklaut wurden, hat die niederländische Firma VanMoof einen besonderen Service eingeführt: Sie schickt Bike Hunter auf elektronische Schnitzeljagd nach den Rädern der Kunden.

Vor ein paar Jahren war das Ganze noch eine Art Spiel, das VanMoof-Mitarbeiter in Amsterdam freitags nach Feierabend spielten: Bike Hunting, Fahrräder jagen. Denn die mit Designpreisen ausgezeichneten E-Bikes des niederländischen Unternehmens, das die Brüder Taco und Ties Carlier 2009 gründeten, wurden ihren Besitzern oft gestohlen. Erst ging nur Firmenchef Taco selbst mit einem Bluetooth-Tracker auf die Suche nach den Fahrrädern, dann machten immer mehr Mitarbeiter mit. Seit 2016 beschäftigt VanMoof offiziell Bike Hunter in Voll- und Teilzeit. Das Team besteht aus 25 Jägern, deren Einsatzorte von Amsterdam über New York und San Francisco bis nach Tokio reichen.

Einer von ihnen ist Daniel Marinello in Berlin. Als VanMoof 2015 einen kleinen Laden in Charlottenburg eröffnete, war der heute 31-Jährige der erste Angestellte dort. Gestohlene Fahrräder aufzuspüren war damals noch nicht sein Hauptjob, aber bereits eine Leidenschaft: „Ich mag den Kick und sehe das als Challenge.“ Als VanMoof 2020 einen Brand Store in Mitte eröffnete und immer mehr Mitarbeiter beschäftigte, konnte Daniel richtig loslegen. Seitdem spürte er Hunderte Fahrräder in Berliner Hinterhöfen, Plattenbauten, Garagen, Kellern und Lagern auf und gab sie glücklichen Besitzern zurück.

Komplexe Anti-Diebstahl-Technologie

Eine Ortung der ab 2.500 Euro teuren E-Bikes ist möglich, weil diese eine komplexe Anti-Diebstahl-Technologie eingebaut haben. Dazu gehört das Tracking über GSM-Ortung. Anfangs wurde dazu ein selbst entwickelter Scanner mit Antenne genutzt, inzwischen haben die Bike Hunter auf ihren Smartphones eine spezielle App dazu – Daniel nutzt gern beides. So lassen sich die Räder bis auf etwa 100 Meter genau lokalisieren.

Doch bevor es für die Bike Hunter auf die Straße geht, sind die ersten technischen Maßnahmen längst angelaufen. Meldet ein Fahrradbesitzer per VanMoof-App oder -Account einen Diebstahl, wird die Elektronik heruntergefahren und das Bike quasi unbrauchbar gemacht. Zudem wird die Standortverfolgung aktiviert. Das Fahrrad sendet dann automatisch Signale, welche die Bike Hunter empfangen und auf einer Karte verfolgen.

Vor dem Vororteinsatz steht die Bildschirmarbeit

Ist Daniel auf der Suche nach einem gestohlenen Rad, sichtet er daher zunächst stunden- oder tagelang ungefähre Koordinaten und beobachtet, ob sich ein Bike noch bewegt. Bleiben die roten Punkte auf seinem Display stabil und zentrieren sich auf zwei oder drei Straßen, bedeutet das für ihn: Zugriff. Über verschiedene Google-Dienste checkt der Berliner Chief Bike Hunter zuerst die Umgebung: Welche Gebäude stehen dort, gibt es Gärten und Hinterhöfe, ist das Gelände zugänglich. „Dann fahre ich hin.“

Was folgt, ist in seinen Worten „Detektivarbeit“: „Ich befrage Anwohner, beziehe den ganzen Kiez in die Suche ein, zeige Fotos des Bikes, laufe Treppenhäuser von unten nach oben ab, klingle an Wohnungen, halte meinen Scanner vor jede Tür.“ Ist das Rad in der Nähe, schlägt der Bluetooth-Tracker mit einem akustischen Signal aus. Mindestens 50 Prozent der in Berlin gestohlenen E-Bikes fand Daniel indes in einem Hinterhof wieder.

„Make Noise“-Trick

Für besonders schwierige Fälle der Ortung nutzt der Niederländer den „Make Noise“-Trick: Per App kann er ein E-Bike aus der Ferne 15 Minuten lang läuten lassen. Das macht er gern nachts um eins und mehrfach hintereinander. So simpel, so wirksam: Schon viele Male fuhr er nach einer nächtlichen Lärmaktion morgens nochmal die Koordinaten eines gestohlenen Rads ab – und plötzlich stand dieses draußen auf dem Bürgersteig.

Häufig führte ihn ein Einsatz auch schon ins Ausland – etwa nach Paris, Straßburg, Stockholm oder London. Ein E-Bike, das bei einer Testfahrt in Berlin gestohlen wurde, ging blitzschnell ins polnische Stettin – und Daniel hinterher. Innerhalb der Koordinaten, die er dort ablief, war auch eine Polizeistation, die er über seinen Einsatz informierte. Daraufhin bekam er zwei Beamte in Zivil an die Seite gestellt, die ihn herumfuhren und ihm Zugang zu allen Gebäuden verschafften. „Das war schon extrem cool“ – allerdings ohne Erfolg.

75 Prozent der E-Bikes werden gefunden

Die Gesamtbilanz des Unternehmens liest sich jedoch gut: 75 Prozent der Fahrräder würden gefunden und ihren Besitzern wiedergegeben, sagt Sprecherin Sofia Gerung. In absoluten Zahlen sind das bisher knapp 2.000 weltweit. Der Bike-Hunter-Service sei 2016 eingeführt worden, nachdem eine Studie ergeben habe, dass Diebstahl der Hauptgrund sei, weshalb sich Menschen gegen den Kauf eines E-Bikes entschieden.

Die Dienste der Fahrradjäger sind derweil nicht umsonst: Den Service in Anspruch nehmen kann, wer mit dem Kauf seines VanMoof-Bikes das Zusatzpaket „Peace of Mind“ abgeschlossen hat: Es kostet 348 Euro für drei Jahre und garantiert, dass man sein gestohlenes E-Bike oder ein gleichwertiges binnen zwei Wochen zurückbekommt.

Daniels persönliche Rekorde sind übrigens vier zurückgebrachte Fahrräder in einer Woche und zwei an einem Tag. Nur sein eigenes gestohlenes VanMoof-Bike konnte der Hunter nicht wiederfinden. „Das ist schon ein bisschen ein Stich ins Herz.“

„Wir sind nicht die Justiz, die Kriminelle fängt“

Die Polizei rufen die Bike Hunter nur in Ausnahmefällen dazu, etwa wenn sie selbst in Gefahr geraten. „Wir kommen, um das Fahrrad zu holen, wir sind nicht die Justiz, die Kriminelle fängt“, sagt Daniel. Hat er ein gestohlenes E-Bike gefunden, das über das eingebaute Kicklock verriegelt ist, kann er dieses mit einem speziellen Tool öffnen und mitnehmen. Ist das Rad mit einem zusätzlichen Schloss gesichert, kommt ein Bolzenschneider zum Einsatz.

Ganz zum Schluss kommt für Daniel dann das Beste: „Mein persönlicher Drive ist es, einem Kunden sein geliebtes Rad wiederzugeben. Die Freude zu sehen, das ist einfach megacool.“

Ist der 31-Jährige in besonders spannender Mission unterwegs, hat er seine GoPro-Kamera dabei und filmt den Bike Hunt. Einiger seiner Videos sind auf dem VanMoof-Blog zu finden: Bike Hunt Recap – 2021 | VanMoof – YouTube.

Neue Bike Hunter sind immer willkommen. Was man mitbringen muss: Geduld, Hartnäckigkeit und Biss. Interessierte können sich über die sozialen Kanäle des Unternehmens melden.

Veröffentlicht auf n-tv.de am 8. Januar 2023