Brachiosaurus-Hack

Bild: Nikolai Nelles und Nora Al-Badri

Der Tendaguru-Hügel ist eine mystische Stätte in Tansania. „Noch heute finden dort spirituelle und heilende Rituale der Dorfgemeinschaft statt, auch mit Einsatz der Fossilien“, sagt die Künstlerin Nora Al-Badri, die mit Nikolai Nelles vor Ort recherchierte. Mit Fossilien sind 150 Millionen Jahre alte Zeugnisse von Dinosauriern gemeint: 1909 bis 1913 bargen Berliner Paläontologen dort 250 Tonnen Knochen, darunter das Skelett eines Brachiosaurus.

Seit 1937 steht dieses im Naturkundemuseum und zieht Besucher aus aller Welt an. Und verärgert das Künstlerduo, das eine anhaltend koloniale Perspektive von Museen kritisiert. Thematisiert wird dies in der Ausstellung „Not a Single Bone“ in der Galerie NOME in Berlin-Kreuzberg. Nicht die deutschen Wissenschaftler hätten die Saurierknochen in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika „gefunden“, sagt Nelles. „Die Einheimischen lebten über Jahrhunderte mit den riesigen und zum Teil gut sichtbaren Knochen, sie gruben sie nur nicht aus.“

Al-Badri und Nelles wollen die Frage nach dem Besitz kultureller Artefakte neu diskutieren sowie die Geschichte des Brachiosaurus aus der Perspektive der einheimischen Bevölkerung erzählen. „Bis heute hat niemand die Menschen, die dort leben, nach ihrer Beziehung zu den Fossilien gefragt“, sagt Al-Badri. Um Rückgabeforderungen, mit denen sie in Tansania zwar konfrontiert worden seien, geht es den Künstlern aber nicht.

Gezeigt werden Installationen, Videos, Drucke und Objekte. Basis ist ein 3-D-Datenscan des Berliner Skeletts, von dem die Künstler nicht preisgeben, woher dieser stamme. Aus „gefundenen“ Daten des Saurieroberschenkels erstellten sie aus Gips eine große Replik „in Museumsqualität“. 30 Prozent des Brachiosaurus seien übrigens nie gefunden worden, auch das rund 13 Meter hohe Exponat des Naturkundemuseums sei das Ergebnis „kreativer Arbeit“, so Al-Badri.

Vor zwei Jahren machte das Duo mit einer ähnlichen Nofretete-Aktion Schlagzeilen. Damals gaben sie an, die berühmte Büste im Neuen Museum heimlich dreidimensional gescannt zu haben – was das Museum indes als „unwahrscheinlich“ zurückwies. Mit einem 3-D-Drucker erstellten sie eine Kopie, stellten diese in Kairo aus und gaben die Daten zum Download frei. Tausende Remixe entstanden seitdem.

„Wir können das, was uns die Dorfbewohner anvertraut haben, nicht einfach nur in Deutschland präsentieren.“

Mit ihrer Reihe „Fossil Futures“ verstehen sich die Künstler auch als Anwälte der Einheimischen: Bei ihren Recherchen am Tendaguru-Hügel beauftragte die örtliche Gemeinschaft sie, die Knochen auf künstlerische Art und Weise zurückzubringen – und einen Weg zu finden, den Ort wieder zum Leben zu erwecken. „Wir können das, was uns die Dorfbewohner anvertraut haben, nicht einfach nur in Deutschland präsentieren“, sagt Nelles. Ein von der Dorfgemeinschaft verwaltetes Naturschutzgebiet mit virtuellem Museum sei in Absprache mit den lokalen Behörden geplant.

Das Naturkundemuseum Berlin weist Kritik derweil zurück: In seinen Ausstellungen gebe es für Besucher „eine faktisch klare Auseinandersetzung mit dem Fundort Tendaguru auf vielfältige Weise – sei es in Bildserien zur Bergung oder per Audioguide“. Seit Jahren gebe es zudem sehr gute wissenschaftliche Kooperationen mit afrikanischen Ländern und Verbindungen nach Tansania. Das Museum betreibe auch Provenienzforschung, etwa mit dem vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt „Dinosaurier in Berlin. Brachiosaurus brancai als wissenschaftliche, politische und kulturelle Ikone, 1906-2016“. In dem Projekt geht es auch um Fragen der Kolonialgeschichte.

Kompromisslos gibt sich der Verein Berlin Postkolonial: „Wir fordern die Bundesregierung zu einem unverzüglichen Rückgabeangebot an die tansanische Regierung auf“, sagt Vorstand Mnyaka Sururu Mboro. Das Skelett sei im kolonialen Unrechtskontext angeeignet worden.

Veröffentlicht am 6. September 2017 in „Märkische Allgemeine – Potsdamer Tageszeitung“