Karriere? Nein danke!

Foto: Haus Bartleby

Foto: Haus Bartleby

Es stellt die gängigen Konzepte von Arbeit infrage: Das Zentrum für Karriereverweigerung Haus Bartleby. Mitbegründer Anselm Lenz kritisiert im heute.de-Interview, dass es kaum Platz für alternative Karrieren gibt – und dass wir in einer „Gesellschaft der Angst“ leben.

heute.de: Warum ist das Streben nach Karriere zu kritisieren?

Lenz: Weil es sich heute meist darauf bezieht, uns funktionstüchtig für den Arbeitsmarkt im Kapitalismus zu machen. Früher sollte an Universitäten das Wissen der Welt versammelt und geforscht werden. Nun gehen wir an diese Orte, um uns fit für die abhängige Beschäftigung für deutsche Großeigentümer und Erben zu machen. Dagegen wehren wir uns. Wenn es aber um das Hinaufklettern in Sachen Wissen und Werte geht, sehen wir Karriere positiv.

heute.de: Wie sieht Karriereverweigerung für Sie aus?

Lenz: Es geht nicht um eine Punkattitüde, sondern darum, sich zu spiegeln in der eigenen Situation. Für wen mache ich mich hübsch im Bewerbungsgespräch? Warum sind Arbeit und Eigentum so organisiert, wie wir es derzeit vorfinden? Ist diese Ökonomie alternativlos? Und wenn ja, will ich dabei mitmachen?

heute.de: Welches Modell von Arbeiten und Leben streben Sie an?

Lenz: Unser Ziel ist zunächst eine Bestandsaufnahme dessen, was wir gesellschaftlich, technologisch und sozial schon erreicht haben. Dann müssen wir einen Weg finden, diese Fortschritte allen Menschen zur Verfügung zu stellen. Es fehlt an einer Antwort auf die Frage, wofür wir arbeiten. Dies wurde lange beantwortet mit Wachstum und Wohlstand. Wir stellen inzwischen jedoch eine Verarmung der jüngeren Menschen in Europa fest – und damit sind fast alle unter 50 gemeint.

heute.de: Gab es für Sie persönlich einen Auslöser, zu sagen: So will ich nicht mehr arbeiten?

Lenz: Ja, mehrfach. Die Bedingungen, unter denen heute gearbeitet wird – von Studentenjobs bis zu vermeintlich hoch angesehenen Tätigkeiten – finden grundsätzlich unter halbierten Bezügen bei gleichzeitig verdoppelten Mieten und unter permanentem Stress statt.

heute.de: Warum ist es – neben dem Muss, Geld zu verdienen – so schwer, auszubrechen?

Lenz: Es ist systematisch nicht vorgesehen, Karriereverweigerer zu sein. Das normale Arbeitsverhältnis ist das, in das wir alle rein sollen. Sich in freien Kooperativen zu verbinden oder neue Betriebe zu gründen, die demokratisch organisiert sind – wer so etwas machen will, steht vor vielen Problemen. Es ist zum Beispiel fürchterlich schwer, Kredite zu bekommen.

heute.de: Fehlt uns oft auch der Mut?

Lenz: Durch eine permanente Krisenerzählung leben wir in einer Gesellschaft der Angst. Angeblich wird alles knapper, und wir müssen noch schneller studieren und arbeiten, damit der Laden weiter läuft. Das Gegenteil ist der Fall: Es wurden in den vergangenen vier Jahrzehnten ungeheure Reichtümer produziert – aber wir haben immer weniger davon. Wir warten seit 40 Jahren, dass Wachstum und Wohlstand von oben nach unten durchsickern – aber nichts sickert durch.

heute.de: Was kann ein Arbeitnehmer tun, wenn er unzufrieden ist, aber nicht kündigen will?

Lenz: Geld, Eigentum und Macht infrage stellen. Es wurde so lange Sparsamkeit geübt, dass es höchste Zeit ist, dass die Gehälter extrem erhöht werden. Nicht um 2, sondern um 20 Prozent. Gesellschaftlich erarbeiteter Wohlstand muss verteilt werden. Es müssten zum Beispiel auch mehr Mietshäuser gebaut werden, und die Mieten sinken für Häuser, die schon lange stehen.

heute.de: Arbeiten wir auch so viel, weil wir verlernt haben, unsere Zeit anders zu verbringen?

Lenz: Da die Gesellschaft immer stärker darauf ausgerichtet ist, für den Verwertungszusammenhang auszubilden, ist es für viele ein großer Schritt, sich als Mensch mit allen Möglichkeiten wahrzunehmen. Und sich mit anderen Menschen frei zu vereinbaren.

Infobox: Das Haus Bartleby ist benannt nach dem Helden des Romans „Bartleby der Schreiber“ von Herman Melville, der den Satz „Ich möchte lieber nicht“ prägte. Die Journalistin Alix Faßmann kündigte das Zentrum für Karriereverweigerung in ihrem Buch „Arbeit ist nicht unser Leben“ (2014)  an. Seitdem arbeiten Faßmann, Lenz und viele andere zusammen mit ihrem weit verzweigten Netzwerk an seinem Aufbau. Im Netzwerk der Website gibt es 800 Aktive, der Newsletter hat 2.600 Abonnenten. Derzeit hat die Lobby ein Büro in Berlin-Neukölln, ein Haus soll 2016 folgen. Zu den prominenten Veranstaltungen des Zentrums zählt das Kapitalismustribunal zusammen mit dem Club of Rome. Das Haus Bartleby ist als gemeinnütziger e.V. organisiert und finanziert sich und die Projekte bislang ausschließlich selbst.

ANSELM LENZ… geboren 1980 in Hamburg, ist als Lobbyist und Schriftsteller in Berlin und Hamburg tätig. Zuvor arbeitete er als Metallarbeiter, Kulturwissenschaftler und Dramaturg für politisches Theater. Ende August 2015 erschien seine Haus-Bartleby-Anthologie mit Beiträgen etwa von Yanis Varoufakis, Deichkind und Patrick Spät.

Das Interview führte Nadine Emmerich.

Veröffentlicht auf heute.de am 13. September 2015.