Kunst gegen Überwachung

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Foto: NOME

Die Politik über die Kunst erreichen: Aktivisten wie Wikileaks-Unterstützer Jacob Appelbaum oder Netzkünstler James Bridle versuchen mit ihren Arbeiten genau das. Die Berliner Galerie NOME hat sich auf Kunst an der Schnittstelle von Politik und Technologie spezialisiert. Thema der neuen Ausstellung von Matthew Plummer-Fernandez ist das Urheberrecht.

Von Nadine Emmerich

Berlin – Ein privates Selfie von Ex-NSA-Chef Keith Alexander plakatiert auf einer Hauswand, ein mit analoger Überwachungskamera erstelltes Porträt von Wikileaks-Gründer Julian Assange und eins gemeinsam mit Ai Weiwei mit geschredderten NSA-Dokumenten gefüllter Plüschpanda: Es sind hochpolitische Arbeiten, die in der Berliner Galerie Nome ausgestellt werden. Galerie-Chef Luca Barbeni sagt: „Mein Fokus liegt auf Künstlern, die sich kritisch mit Politik und der digitalen Welt, in der wir leben, auseinandersetzen.“

Am 6. November eröffnet „Hardcopy“ die erste Einzelschau von Matthew Plummer-Fernandez, der mit einer selbst geschriebenen Software zur Umgehung von Urheberrechten diese hinterfragt. Der in London lebende Künstler zeigt verzerrte Remixe bekannter Zeichentrickfiguren wie Mickey Mouse oder Spongebob als 3-D-Skulpturen. Plummer-Fernandez versteckt seine 3-D-Modelle, indem er sie als Bilddatei codiert. Patentjäger oder Strafverfolgungsbehörden sähen nur ein buntes Bild. Neben den Skulpturen stellt Nome Drucke dieser Bilder aus.

Ein Anwalt prüft vorab

In den ersten Ausstellungen der Galerie im Stadtteil Friedrichshain war Überwachung das beherrschende Thema: Im Mai zeigte Barbeni unter dem Titel „Overexposed“ Arbeiten des Italieners Paolo Cirio, der mit einer selbst entwickelten Graffititechnik Privatfotos etwa von CIA-Direktor John Brennan und NSA-Chef Michael Rogers auf Mauern verbreitete. An die Fotos war er via Facebook gelangt: Er freundete sich mit Freunden der Geheimdienstler an, bekam so Einblick in deren Privatsphäre. Eine legale Aktion: Barbeni ließ vorsorglich alles anwaltlich prüfen.

Der Aktivist und Journalist James Bridle verwischte mit „The Glomar Response“ die Grenzen von Kunst und Investigativrecherche und illustrierte neben Überwachung auch Zensur. Er visualisierte beispielsweise mit einer eigenen Software einen US-Senatsbericht über Folter durch die CIA und verwandelte diesen in eine Grafik mit bunten Streifen – und vielen schwarzen Punkten dort, wo vor Veröffentlichung kräftig radiert wurde.

Noch bis 31. Oktober ist Jacob Appelbaums erste Einzelausstellung in Deutschland zu sehen: „Samizdata: Evidence of Conspiracy“. Der Sicherheitsexperte Appelbaum, Kernmitglied des Tor-Projektes zur Anonymisierung von Verbindungsdaten und seit drei Jahren im Berliner Exil, wurde bekannt durch sein Engagement für den Whistleblower Edward Snowden. Seine aus der Überwachungstechnik entlehnten Infrarotfotografien porträtieren sein privates Umfeld – darunter Filmemacherin Laura Poitras und Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald.

Ein neues Publikum erreichen

Die von Galeriedirektor Barbeni ausgewählten Künstler üben sich zunehmend auch in Aufgaben von Journalisten: Sie recherchieren und schauen der Politik auf die Finger. Die Kunst eröffne den Aktivisten ein neues Publikum, sagt Barbeni. Dieses wiederum bekomme so eine neue Perspektive auf digitale Realitäten. Auch er selbst habe eine Botschaft, betont Barbeni: das kritische Bewusstsein für die Zeit, in der wir leben, zu schärfen.

Der Galerist kennt viele Akteure der Szene persönlich: Paolo Cirio etwa ist ein Jugendfreund von ihm. In den 90er-Jahren war Barbeni selbst als Internetkünstler aktiv, von 2006 bis 2015 war er Kurator des Share Festivals für Medienkunst in Turin. Bis Ende 2016 hat Barbeni sein Ausstellungsprogramm schon durchgeplant, im kommenden Jahr wird sich der inhaltliche Fokus ein wenig ändern. Statt um Überwachung, Urheberrecht und Zensur wird es schwerpunktmäßig unter anderem um Wissenschaft, Finanzen, Ernährung oder Brücken zum Islam gehen – kritisch unter die Lupe genommen. Barbenis Ziel ist es außerdem natürlich, noch mehr Bekanntheit und Wertschätzung für seine Künstler zu generieren. Denn noch sind ihre Werke zu Durchschnittspreisen von 5000 bis 6000 Euro zu haben.

Veröffentlicht in der „Rhein Zeitung“ am 26. Oktober 2015.