Datenrausch im Kino

01 Jan Philipp Albrecht © Indi Film - Dieter Stürmer

Foto: Indie Film / Dieter Stürmer

Die plötzliche Aktualität war auch für ihn überraschend: Regisseur David Bernet zeigt in seinem Dokumentarfilm „Democracy – Im Rausch der Daten“ die Entstehung des EU-Datenschutzgesetzes. Im heute.de-Interview erklärt er, wie die Dreharbeiten ihn verändert haben.

heute.de: Was hat Sie gereizt, einen Film über das europäische Datenschutzgesetz zu drehen?

David Bernet: Datenschutz war, als wir begonnen haben, noch kein Thema. Die Idee war, einen Film zu machen, der einen Gesetzgebungsprozess beobachtet. Ich bin erst während der Recherchen in Brüssel auf den Datenschutz gestoßen. Mir war klar, dass ich ein Thema angehen muss, das in der Zukunft eine heiße Debatte mit sich bringt. Dass es so heiß wird, war aber auch für uns überraschend.

heute.de: Sie zeigen, wie nach den Enthüllungen durch Edward Snowden die Stimmung umschlug.

Bernet: Snowden hat 2013 die ganze Geschichte verändert. Nach Snowden war Datenschutz das Superthema. Wir haben zivilgesellschaftlich unheimlich davon profitiert, auch wenn unsere Regierungen das nicht zugeben. Wir schulden ihm was. Er sitzt fest in Moskau, er braucht Freiheit und Lebensraum. Die könnte Europa ihm geben. Da bin ich aber leider nicht optimistisch.

heute.de: Erstmals drang ein Filmteam so tief in die EU vor: Mussten Sie Widerstände überwinden?

Bernet: Sowohl die Kommission als auch das Parlament haben früh verstanden, dass es eine einmalige Chance war. Die EU-Institutionen haben ein Image- und Vermittlungsproblem, es ist sehr schwierig, klar zu machen, was dort wozu geschieht. Diesen Einblick ermöglicht der Film.

heute.de: Welche Türen blieben Ihren Kameras verschlossen?

Bernet: Das größte Problem war der Rat, weil dessen Präsidentschaft jedes halbe Jahr wechselt. Wir mussten jedes halbe Jahr neu erklären, was wir wollen. Das haben wir sechs Mal erlebt, das hat zu Limits geführt. Wir waren das erste Team, das im Ministerrat filmen konnte. Aber wir kamen nicht tiefer auf die Arbeitsebenen. Ich hätte auch gern eine Fraktionssitzung der Europäischen Volkspartei gefilmt.

heute.de: Der Film beginnt mit dem Satz: Daten sind das neue Öl. Wird ihr Wert weiter unterschätzt?

Bernet: Wenn man sieht, wie reich und mächtig Google und Facebook sind, die von Daten leben, dann wird klar, um was für Dimensionen es geht. Wir werden bald ein Überwachungsgerät mit ins Auto nehmen müssen, weil wir uns sonst die Versicherung nicht mehr leisten können. Ähnliches wird in allen Lebensbereichen stattfinden, diese Überwachung hat Konsequenzen für jeden. Es geht nicht um meine kleinen Geheimnisse, sondern darum, wer die Kontrolle über diese Daten ausübt. Auf Twitter habe ich gelesen: „Stell dir vor, Google ist böse.“ Was würde Google mit seinem Wissen machen?  Dieses Wissen ist Macht, und die Frage ist, wie verteilen wir diese in Gesellschaft und Wirtschaft?  Die Datenschutzreform ist ein Teil der Antwort.

heute.de: Und der andere?

Bernet: Die Reform regelt, wie Firmen mit Daten umgehen, und zum Teil auch, was Staaten damit tun dürfen. Es ist eine Sache, so ein Gesetz zu machen. Die andere aber ist, dass Bürger und Konsumenten das Gesetz auch nutzen müssen. Die kulturelle Entwicklung, zu verstehen, wie dominant das Thema in der Zukunft wirklich sein wird, die muss noch geschehen.

heute.de: Was hat sich für Sie nach 2,5 Jahren Dreharbeiten verändert?

Bernet: Ich bin kein Nerd, ich habe keinen Spaß an Kryptoprogrammen. Aber ich bin vorsichtiger geworden: Ich benutze einen VPN-Tunnel für Recherchen, ich unterschreibe nicht einfach Onlinepetitionen. Ich überlege, was für ein Bild von mir im Netz entsteht, welche Konsequenzen das für mich als Medienschaffenden hat. Die Zeiten, dass wir einander begegnen können, ohne sich Gedanken machen zu müssen, was der andere über einen weiß, sind vorbei.

David Bernet… ist Dokumentarfilmer, Produzent und Autor. Er wurde 1966 in Rheineck in der Schweiz geboren und studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Wien und Berlin. Sein Berufsleben begann 1995 als Journalist, seit 2000 ist er auch als Filmemacher tätig. In seiner jüngsten Doku „Raising Resistance“ (2011) schilderte er den Überlebenskampf paraguayischer Kleinbauern.

Das Interview führte Nadine Emmerich.

Veröffentlicht auf heute.de am 12. November 2015.