„Wir haben die wenigsten Rechte in der saudischen Geschichte“

Dir Mahmoud Sabbagh

Foto: El-Housh Productions / Berlinale

Kino ist in Saudi-Arabien verboten. Der saudische Regisseur Mahmoud Sabbagh drehte dort trotzdem. „Barakah Meets Barakah“ zeigt die Dating-Probleme junger Leute und läuft nun bei der Berlinale. Heute.de sprach mit Sabbagh über die Dreharbeiten und das komplizierte Leben junger Menschen in Saudi-Arabien.

heute.de: Im Programm wird Ihr Film als romantische Komödie angekündigt. Dahinter verstecken Sie deutliche Gesellschaftskritik.

Mahmoud Sabbagh: Ich wollte einen Film über den öffentlichen Raum machen – und die Grenzen, die dieser in den vergangenen 30 Jahren erfahren hat. Ich wollte auch einen Film über meine Generation drehen. Wir haben die wenigsten Rechte in der Geschichte Saudi-Arabiens. Das Genre Komödie habe ich als künstlerische Taktik benutzt.

heute.de: Wie sehen Sie die junge Generation?

Sabbagh: Wir sind selbstbewusster und kritischer. In Europa und den USA bekommt man nicht mit, dass es in Saudi-Arabien auch eine kritische Kultur gibt. Ein neuer Geist weht durch die Gesellschaft. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 30.

heute.de: Mussten Sie sehr genau darauf achten, bei der Annäherung der beiden Hauptfiguren keine Grenze zu überschreiten?

Sabbagh: Natürlich, ich kann keinen „Antichrist“ drehen. Ich bin Teil der Welt, aus der ich stamme. Ich möchte etwas bewegen, aber vorsichtig. Ich darf die Zustimmung des Publikums nicht verlieren. Wenn du etwas bewirken und verändern willst, brauchst du Überschneidungen mit dem Mainstream.

heute.de: Wie authentisch sind die Probleme von Bibi und Barakah, sich kennenzulernen?

Sabbagh: Es ist ein Kinofilm, es soll lustig sein. Aber ihre Darstellung gibt schon wieder, was ich im täglichen Leben erfahre. Und das im kosmopolitischen Jeddah, der zweitgrößten Stadt Saudi-Arabiens mit vier Millionen Einwohnern.

heute.de: Bibi ist ein Instagram-Star. Welche Rolle spielen soziale Medien im Land?

Sabbagh: Es gibt kaum öffentlichen Raum, also nutzen Jugendliche soziale Medien als Alternative. Sie sind jetzt sichtbar durch Snapchat, Twitter, Instagram und Facebook. Dort können sie sich ausdrücken und verabreden.

heute.de: Hatten Sie das Gefühl, beim Dreh durch die Religionspolizei überwacht zu werden?

Sabbagh: Man sieht sie kaum, aber man fühlt ihre Anwesenheit. Wo immer ein Paar aufeinandertrifft, ist es angespannt. Es ist immer in deinem Kopf und Unterbewusstsein. Es ist das Big-Brother-Konzept.

heute.de: Wie macht man in einem Land ohne Filmindustrie einen Film?

Sabbagh: Ich habe viele Menschen von der Straße und aus meiner Umgebung gecastet. Finanziert wurde mein Film von meiner Familie, Freunden und Freunden von Freunden.

heute.de: In ihrer Heimat wird der Film nicht anlaufen, was erhoffen Sie sich trotzdem?

Sabbagh: Dass er in anderen Ländern des Nahen Ostens ins Kino kommt, und dass Menschen in Saudi-Arabien ihn als Stream sehen können. Wir haben einen starken Video-on-demand-Markt, fast jeder Haushalt hat ein Abo. Ich hoffe, dass mein Film provozieren und einen Dialog hervorrufen wird.

heute.de: 2013 kam mit „Das Mädchen Wadjda“ der erste Film aus Saudi-Arabien in die Kinos. Hat das den Weg für Sie geebnet?

Sabbagh: Nein, denn er wurde mit einer überwiegend europäischen Crew gedreht. Das hat nichts dazu beigetragen, eine Filmindustrie in Saudi-Arabien zu schaffen.

heute.de: Wenn ich Sie nach der Rolle Saudi-Arabiens beim Erstarken des sogenannten Islamischen Staats (IS) oder Hinrichtungen in Ihrem Land fragte: Könnten Sie antworten oder hätte das Konsequenzen für Sie?

Sabbagh: Als Künstler kann ich mich nicht von politischen Debatten lösen, ich habe eine Meinung. Ich wünschte mir in der Region vieles besser. Man sieht all diese scheiternden Systeme. Statt besserer Regierungen gibt es Bürgerkriege und islamistischen Terrorismus. Wir haben ein System, das vielleicht reformiert werden muss – aber es funktioniert.

Das Interview führte Nadine Emmerich.

Veröffentlicht auf heute.de am 17. Februar 2016