Wie Bahnfahren zur „Kreuzfahrt auf der Schiene“ wird

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Elias Bohun kennt die meisten Zugverbindungen zwischen Europa und Asien auswendig. Händische Buchungen erweisen sich für den Gründer eines Onlinereisebüros für klimafreundliche Bahnfernreisen aber als verlustreich. Darum arbeitet er jetzt an der ersten digitalen Plattform für Zugreisen über Staatsgrenzen hinweg.

An internationalen Zugfahrplänen lässt sich nach Ansicht von Elias Bohun gut ablesen, was in der Welt passiert. „Man kann nicht über jeden Konflikt drüberfahren“, sagt er. Für den Wiener Unternehmer ist das nicht nur eine geopolitische, sondern auch eine wirtschaftliche Aussage. 2020 gründete er mit seinem Vater ein Onlinereisebüro für Fernreisen mit der Bahn und verbuchte rasch Tausende Anfragen. Doch dann kam erst die Corona-Pandemie, dann der russische Krieg gegen die Ukraine und jüngst die neue Gewalt in Nahost.

Auf der Webseite von Traivelling stehen zwar noch Verbindungen wie Wien – Hanoi, Wien – Tokio oder Wien – Bangkok. Buchbar sind diese Destinationen aktuell aber nicht: Um mit dem Zug nach Asien zu reisen, müsste man durch das Kriegsland Russland fahren. Machbar sind Ziele wie Marokko, Tunesien, Georgien und Orte in ganz Europa. Allerdings ist derzeit Buchungsstopp. Denn das Team arbeitet an einem alle Hände bindenden, komplizierten Projekt: der Programmierung einer Plattform, die individuelle Buchungen in ein automatisiertes System überführt.

Denn was mit viel Enthusiasmus und etwas hemdsärmelig startete, erwies sich mit der steigenden Nachfrage – insbesondere nach Reisen innerhalb Europas – als kaum rentabel. Der manuelle Aufwand der Buchungen war schlicht zu groß. Traivelling berechnete pro Reise eine Provision von 15 Prozent, bei mehrstündigem Planungsaufwand plus späteren Servicedienstleistungen blieb unterm Strich nichts übrig. „Die Anfragen waren aber immer da, das hat uns motiviert, weiterzumachen“, sagt der 23-Jährige.

Touristisch sinnvollste Routen – und günstigste

Bald werde es nun „die erste Bahnbuchungswebseite für internationale Zugreisen über mehrere Staatsgrenzen hinweg“ geben, welche die touristisch sinnvollsten Routen finde und Busse und Fähren einbeziehe, kündigt er an. Weitere individuelle Auswahlmöglichkeiten sind in Planung. Wo noch keine E-Tickets verfügbar sind, etwa in Serbien, wird das Angebot um Papiertickets erweitert. In die automatisierte Suche werden alle verfügbaren Ermäßigungen einbezogen. Um klimafreundliches Reisen zu fördern, das erklärte Ziel von Traivelling, muss die Differenz zwischen Billigfliegern und Bahn schließlich kleiner werden.

Alles in allem eine Mammutaufgabe. Bei der technischen Umsetzung offenbarten sich mehr als ein halbes Dutzend Probleme: Es existiert keine internationale Datenbank für Zugverbindungen und Bahnhöfe, wie es bei Flügen und Flughäfen seit Jahrzehnten der Fall ist. Innerhalb Europas gibt es im Bahnbereich so gut wie keine Standardisierung, es fehlen etwa Bahnhofcodes wie bei Flughäfen. Jeder Bahnhof heißt bei jeder Schnittstelle anders, obwohl es derselbe Bahnhof ist. Fahrpläne und Buchungen sind in vielen Systemen getrennt.

Mehr als 15.000 Arbeitsstunden steckten schon in der Plattform, sagt Elias Bohun. „Ein einzelnes Land in das Buchungssystem zu integrieren, kann bei einem komplexen Fahrplan mehrere Monate dauern. Wenn es Nachtzüge gibt, macht es das nochmal komplizierter.“ Jüngst wurde eine Crowdfunding-Kampagne erfolgreich abgeschlossen, sodass das mit etlichen Startup-Preisen ausgezeichnete Unternehmen zwei weitere Programmierer einstellen konnte. Inzwischen ist das Team acht Mitarbeiter groß.

Etliche Hürden zu überwinden

Vieles ist auch bereits geschafft – von der Anbindung von Schnittstellen und Drittanbietern über Direktverträge mit nationalen Bahnunternehmen bis zur Optimierung des Suchalgorithmus an die speziellen Bedürfnisse von Zugreisenden. Der Sommerurlaub 2024 solle über die neue Plattform plan- und buchbar sein, sagt Elias Bohun.

Unterdessen stellt Traivelling bei Instagram täglich Verbindungen mit geschätzten Preisen vor, die möglich sind, allerdings vorübergehend noch in Eigenregie organisiert werden müssten: von Hamburg über die Färöerinseln nach Island, von Stuttgart nach Sizilien, von München auf die Balearen oder von Berlin über Paris nach Barcelona.

Neben der Plattform will Elias Bohun künftig auch das Onlinereisebüro weiterbetreiben und darüber individuelle Anfragen für Fernreisen bearbeiten. „Reisen zum Beispiel nach Georgien lassen sich noch nicht digitalisiert anbieten“, erklärt er. 95 Prozent der Ziele sollen aber automatisiert abgedeckt werden. Für diese Angebote wird Traivelling voraussichtlich eine Provision von 8 Prozent nehmen, bei persönlichen Angeboten über das Reisebüro bleiben es 15 Prozent. Um Übernachtungen und Visa müssen sich Reisende selbst kümmern.

2019 selbst mit dem Zug nach Vietnam

Die Idee zur Gründung von Traivelling kam übrigens auf, weil der langjährige Klimaaktivist Bohun zusammen mit seiner Freundin 2019 selbst mit dem Zug nach Vietnam reiste. Nach monatelangen Recherchen waren sie 16 Tage unterwegs und durchquerten sechs Länder, die Fahrt kostete pro Person rund 650 Euro. An ihre Tickets gelangten sie teils auf abenteuerlichem Weg: Weil man in einigen Ländern die Fahrkarten nur vor Ort kaufen konnte, ohne aber kein Visum bekam, mussten sie Agenturen und Privatpersonen finden, die ihnen nach Überweisung des Geldes die Tickets kauften und hinterlegten. Weil es ihn nervte, dass die Buchungen so kompliziert waren, gründete er zurück zu Hause Traivelling.

Auf ihrer eigenen Reise schauten sich Bohun und seine Freundin tagsüber Städte und Länder an, das Geld für Hotels sparten sie, indem sie in Nachtzügen schliefen. „Das war wie eine Kreuzfahrt auf der Schiene.“ Der alte Spruch „Der Weg ist das Ziel“ wurde für den Wiener zur Erkenntnis. Die langsame Art des Reisens empfindet er als entspannend. Er schwärmt, wie gemütlich die Züge der Dänischen Staatsbahn seien. Auch in Osteuropa seien die Züge komfortabel, nur langsamer. „Aber der schönste Nachtzug ist der Caledonian Sleeper zwischen London und Schottland, der ist wie ein fahrendes Fünf-Sterne-Hotel.“

Das derzeit größte Problem bei Zugreisen sieht er in den Verspätungen der Deutschen Bahn, „das ist überall in Westeuropa besser“. Bei den von Traivelling geplanten Reisen gebe es übrigens immer ausreichend Zeit für Umstiege, betont er, sodass verpasste Züge nur sehr selten ein Problem gewesen seien. Mit seiner Freundin und seiner Familie reiste der Gründer zuletzt in die Türkei, ins spanische Valencia und nach Schottland. Und kam mit einer weiteren Erkenntnis zurück: „So viel gemeinsame Zeit schweißt zusammen.“

Veröffentlicht auf n-tv.de am 4. Dezember 2023