Das Spiel mit den Nachrichten

Foto: The Good Evil

Foto: The Good Evil

Newsgames kombinieren Journalismus und Online-Videospiel und sollen Nachrichten spielerisch erlebbar machen. Noch sind die interaktiven Formate über die NSA-Abhöraffäre oder die Ausbreitung einer Epidemie Spielwiese für Indie-Gamestudios.

von Nadine Emmerich

Einmal in der bengalischen Textilfabrik schuften, im mexikanischen Drogenkrieg kämpfen oder im syrischen Flüchtlingscamp leben – Newsgames machen es möglich. Noch sind die Nachrichten in Form eines Videospiels ein Nischenprodukt. Aber – so meinen Experten – sie haben Zukunft.

Die Szenarien von Newsgames bespielen das Politik- und Wirtschaftsressort: Der Spieler dreht eine Reportage in einem Flüchtlingscamp, befehligt Rebellen in Syrien, bekämpft den Drogenkrieg in Mexiko, leitet eine Textilfabrik in Fernost, oder löst das US-Haushaltsproblem . Viele dieser Games wurden von Indie-Studios erdacht. Aber auch die „New York Times“, der „Guardian“ oder der TV-Sender Arte experimentierten bereits mit Newsgames. Neue Formen des digitalen Storytellings werden auch hierzulande diskutiert und probiert. Welche Rolle Newsgames dabei spielen werden, ist noch unklar.

„Interesse ist da“

„Interaktive Formate – ob man sie Newsgames nennt oder nicht – werden integraler
Bestandteil von onlinebasierten, medialen Angeboten im 21. Jahrhundert werden“, sagt
der Gamedesigner und Journalist Marcus Bösch. Bösch ist Geschäftsführer des Studios
„The Good Evil“, das 2013 mit „PRISM -The Game“ das erste deutsche Newsgame
veröffentlichte. Mit konkreteren Prognosen zur Zukunft des Genres hält er sich zurück. Er führte jedoch 2015 bereits „eine ganze Reihe von Gesprächen“ mit öffentlich-rechtlichen Sendern und Zeitungen: „Das Interesse ist da.“

Newsgames haben für Bösch einen Vorteil bei der Wissensvermittlung: „Ich kann in einem Spiel selber etwas erleben, das ist deutlich nachhaltiger als das Anschauen einer Reportage im Fernsehen.“ Für ein politisches Thema eine Spielmechanik zu finden, ist
indes eine ganz andere Herausforderung als einen Text zu schreiben. Um ein Newsgame umzusetzen, braucht es neben dem Journalisten einen Gamedesigner, einen Programmierer und einen Grafiker. Letztere sitzen meist schon in den Redaktionen, „was noch flächendeckend fehlt, ist der Gamedesigner“, sagt Bösch.

Newsgame kostet ab 15.000 Euro

IT-Branchenverbänden wie BITKOM und BIU liegen zu dem Genre noch keine Marktdaten vor. Bösch schätzt die Zahl aller verfügbaren Spiele weltweit auf einige Hundert, „die Zahl der Spiele im deutschen Sprachraum ist an zwei Händen abzuzählen“. Die Umsetzung eines Newsgames koste ab 15.000 Euro. Geld verdienen lässt sich mit den meist kostenlosen Spielen noch nicht. Bösch betont jedoch: „Games halten Leute länger auf Seiten, und Aufmerksamkeit und Verweildauer sind heute auch eine Währung.“ Zudem konsumierten junge Menschen zu fast 100 Prozent digitale Spiele.

Der Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbandes, Hendrik Zörner, hält Newsgames noch für „Spielerei“. Dass verbunden mit dem starken Wandel von Medienhäusern in den nächsten Jahren in Redaktionen künftig auch Gamedesigner vertreten sein könnten, mag er aber nicht ausschließen.

Bundeszentrale skeptisch

Auch nach Einschätzung von BIU- Geschäftsführer Maximilian Schenk sind Newsgames zwar „ideale Erklär-Medien“, werden aber „kurzfristig nicht zu einem Massenmarkt“. Aufwand und Kosten seien im Vergleich zu Texten, interaktiven Grafiken und Videos zu hoch. Eine Möglichkeit wäre aber die Entwicklung eines Newsgames-Tool-Kits, um Spiele schneller und günstiger realisieren zu können.

Bei der Bundeszentrale für politische Bildung werden Newsgames distanziert beobachtet. „Spiele bergen die Gefahr, Sachverhalte zu sehr zu vereinfachen“, sagt der medienpädagogische Referent Matthias Uzunoff. Die Behörde sieht auch eine oftmals
fehlende Ausgewogenheit kritisch. „Die Regeln eines Games lenken den Spieler und
könnten ihn manipulieren“, sagt Uzunoff. Bösch hält dagegen: „Es gibt auch keinen
Leitartikel, der den Israel-Palästina-Konflikt in allen Punkten abhandelt.“

NEWSGAMES …
… entstanden als Format drei Wochen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in einem Flugzeug über den USA. Das kolportiert zumindest der deutsche Newsgame-Pionier Marcus Bösch. Entwickelt wurde „Kabul Kaboom“ von dem in Montevideo geborenen Spieledesigner Gonzalo Frasca. In dem Game muss der Spieler vom Himmel regnende Hamburger sammeln und den gleichzeitig fallenden Bomben entkommen. Schon nach wenigen Tagen hatte das simple Onlinespiel, das von Frasca als politischer Kommentar auf die Operation Enduring Freedom gedacht war, Tausende Fans aus der ganzen Welt.

Veröffentlicht auf heute.de am 15. März 2015.